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Wenn selbst Adenauer nicht heilig war

Eine Klarstellung zur Straßenbenennung in Saarlouis

Louis de la SARRE Siegel

✍️ Louis de la SARRE

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Autor, Herausgeber und geistiger Architekt von La Dernière Cartouche. Ich schreibe an der Schnittstelle von Politik, Geschichte und Medienkritik – analytisch, meinungsstark, unabhängig. Mein Fokus liegt auf europäischen Fragen, vergessenen Perspektiven und der Rehabilitierung des gesunden Menschenverstands im Zeitalter der ideologischen Nebelwerfer. La Dernière Cartouche ist kein Nachrichtenportal, sondern ein Ort für Klartext, Tiefenschärfe und intellektuelle Gegenwehr.

📂 Rubrik: die Frontlinie
🗓️ Veröffentlichung: 05. Mai 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

Hintergrund: In Saarlouis wurde jüngst ein Abschnitt der Straße zwischen Gustav-Heinemann-Brücke und Schanzenstraße in „Rue François Mitterrand“ umbenannt. Der Stadtrat beschloss dies mit Mehrheit, doch Altomaro Lucorcio (Freie Wähler) wetterte in der Sitzung gegen die Namensgebung – mit Verweis auf Mitterrands frühe Tätigkeit im Vichy-Regime. Es kam zu einem Eklat. Dieser Text ist eine notwendige Erwiderung.


Es gehört zur billigsten Form politischer Pose, historische Figuren auf eine einzelne Phase ihres Lebens zu reduzieren, sie an einem frühen Irrtum oder einer unvollkommenen Haltung festzunageln und daraus moralische Gesamtkonsequenzen für die Gegenwart abzuleiten. In diese Falle tappt nun ausgerechnet Altomaro Lucorcio, Mitglied der Freien Wähler in Saarlouis, der in einer Stadtratssitzung mit scharfen Worten gegen die Benennung eines Straßenabschnitts nach François Mitterrand polemisierte.

Lucorcio fühlt sich offenbar berufen, aus der Geschichte zu urteilen – doch seine Urteilskraft ist durch massive Lücken in der historischen Bildung getrübt. Dass Mitterrand in jungen Jahren im Vichy-Regime arbeitete, ist bekannt. Doch ebenso bekannt ist, dass er den Weg in den Widerstand fand, als Mitgründer des RNPG agierte und sich in den Dienst der Befreiung Frankreichs stellte. Man nannte ihn später einen „vichysto-résistant“ – Ausdruck für jene, die durch Erfahrung lernten, irrten und sich entwickelten. Lernfähigkeit ist keine Schande. Sie ist eine Tugend.

Dasselbe gilt übrigens auch für Konrad Adenauer. Auch dem ersten Kanzler der Bundesrepublik wurde nachgesagt, er habe sich 1933 zu opportunistischen Äußerungen hinreißen lassen, um sein Amt in Köln zu retten. Später wurde er von den Nationalsozialisten entlassen, mehrfach verhaftet, und formte nach 1945 den demokratischen Neubeginn Deutschlands. Sollte man Adenauer deshalb jede Ehrung absprechen? Wer das behauptet, verkennt nicht nur Geschichte, sondern auch die Möglichkeiten menschlicher Reifung.

Lucorcio hingegen zeigt weder Lernfähigkeit noch staatsmännisches Gespür. Dass er trotz Überschreitung der Altersgrenze für das Amt des Oberbürgermeisters klagte, zeugt von einer problematischen Selbstwahrnehmung. Wer nicht einmal gesetzliche Grenzen akzeptiert, wie will der eine Stadt führen? Seine Einlassungen zur Straßenbenennung sind Ausdruck derselben Verblendung: historisch selektiv, politisch unredlich, menschlich kleinkariert.


Gerade im Saarland, das wie keine zweite Region zwischen Deutschland und Frankreich steht, sollte die Ehrung eines François Mitterrand als Symbol der Versöhnung eine Selbstverständlichkeit sein. Die Bilder von Verdun – Mitterrand und Kohl, Hand in Hand über den Gräbern – sind nicht einfach Geschichte. Sie sind Verpflichtung. Und sie sind Erinnerung daran, dass Frieden kein Zustand ist, sondern eine tägliche Entscheidung.

Die Rue François Mitterrand in Saarlouis ist kein Denkmal für ein fehlerfreies Leben. Sie ist ein Zeichen für das, was möglich ist, wenn Menschen sich verändern – und wenn Völker sich die Hände reichen.


Weiterführend: Lesen Sie auch den Artikel „Brücken über Gräber“ auf La Dernière Cartouche – ein Essay über Verdun, Versöhnung und die politische Ikonographie Europas.

François Mitterrand (1916–1996) war von 1981 bis 1995 Präsident der Französischen Republik.
Während des Zweiten Weltkriegs hatte er eine ambivalente Rolle: Zunächst arbeitete er für das Vichy-Regime, bevor er sich ab 1942 der Résistance anschloss. Er gründete den „Rassemblement national des prisonniers de guerre“ (RNPG), ein Widerstandsnetzwerk, das Informationen sammelte und Gefangenen half. Diese doppelte Rolle brachte ihm den Begriff „vichysto-résistant“ ein. Nach dem Krieg war Mitterrand eine prägende Figur der französischen Politik und spielte eine Schlüsselrolle in der Gründung der Fünften Republik.

Konrad Adenauer (1876–1967)

Erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949–1963)

Konrad Adenauer war von 1917 bis 1933 Oberbürgermeister von Köln. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde er seines Amtes enthoben und mehrfach von der Gestapo verhaftet. Während des Zweiten Weltkriegs hielt er sich zurück, um einer aktiven Verfolgung zu entgehen. Nach dem Krieg spielte er eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau Deutschlands und der Gründung der CDU. Seine politische Karriere prägte die frühe Bundesrepublik entscheidend.

Politische Haltung und frühe Reaktionen

Adenauer war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus. Bereits 1931 ließ er Hakenkreuzfahnen von städtischen Brücken entfernen, was zu Konflikten mit der SA führte. Trotz dieser Haltung zeigte er in den frühen 1930er Jahren in einigen Äußerungen eine gewisse Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der NSDAP, insbesondere im Kontext politischer Strategien in Preußen. Diese Äußerungen wurden später als opportunistisch interpretiert. Jedoch änderte er rasch seine Haltung, als er die wahre Natur des NS-Regimes

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