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Wer fürchtet sich vor der Maschine?
– Über das Missverständnis, das ChatGPT zur Sünde erklärt“
Redaktioneller Hinweis
In Das Feuilleton beklagt Eva Weissenberger, ChatGPT verhunze die Sprache.
Louis de la Sarre und Arion La Roque antworten mit einem Essay, der die Frage umkehrt:
Was, wenn die Maschine nur spiegelt, was der Mensch längst verlernt hat – das Denken im eigenen Ton?
Quelle zum diskutierten Beitrag: Das Feuilleton, Ausgabe 15 (5.9.2025). Seite 4 anzeigen
“Wie ChatGPT die Sprache verhunzt – Sie heißen zwar ironischerweise Large Language Models, aber der Originalität unserer Sprache tut KI keinen Gefallen.“
Hinweis: Eva Weissenberger ist Unternehmerin, Medienberaterin und Publizistin. Sie leitete zuletzt den Newsroom und das Medienhaus der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und war zuvor Chefredakteurin der Kleinen Zeitung sowie von News.
Wer fürchtet sich vor der Maschine? – Über das Missverständnis, das ChatGPT zur Sünde erklärt
Von Louis de la Sarre & Arion La Roque
Eva Weissenberger schreibt im Magazin Das Feuilleton, ChatGPT verhunze die Sprache. Sie malt ein Schreckbild: gleichförmige Texte, gespickt mit Gedankenstrichen, erfüllt von leeren Haltungen. „Was, wenn bald alles gleich klingt?“ fragt sie. Eine berechtigte Frage – nur richtet sie sich an die Falschen. Nicht die Maschine hat uns sprachlich diszipliniert. Wir selbst haben es getan.
Seit Jahren trainieren Redaktionen, Agenturen und Kulturhäuser dieselbe Syntax: kurze Behauptung, dramaturgischer Bruch, Pathos des Pseudodenken-Wollens. Der Dreiklang, den Weissenberger beklagt – Hook, Vision, Call to Action – stammt nicht aus den Serverfarmen von OpenAI, sondern aus den Handbüchern des Marketings, aus Pressetexten, Verwaltungssprache, Social-Media-Guides jener Branche, die jetzt erschrocken in den Spiegel blickt. ChatGPT reproduziert nichts anderes als das, was wir ihm beigebracht haben: die industriell standardisierte Rede.
Wer heute „Verantwortung“, „Haltung“ oder „Klarheit“ sagt, tut das selten aus Überzeugung, meist aus Bequemlichkeit. Diese Wörter sind die perfekte Währung unserer Zeit: wertstabil, aber ohne Deckung. Man kann sie überall einsetzen, sie riechen nach Moral, kosten nichts. Und so klingen sie – glatt, synthetisch, unverbindlich. Nicht die Maschine glättet die Sprache; sie legt ihre Glätte bloß frei.
Weissenberger irrt, wenn sie glaubt, KI schreibe statt uns. Sie schreibt wie wir – nur ehrlicher. Sie hat keine Angst, banal zu sein. Wir Menschen schon. Darum verstecken wir uns hinter Metaphern, Ironie und moralischem Schaum. Die Maschine kennt diese Scham nicht; sie spuckt aus, was sie gelernt hat: Muster, Reste, Frequenzen. Wir nennen das „Einheitsbrei“. Aber was, wenn der Brei schon vor der Maschine gekocht wurde?
Der Vorwurf, KI-Texte seien zu glatt, zu fehlerfrei, zu berechenbar, klingt aus dem Mund einer Branche, die seit Jahrzehnten genau das produziert: verwaltete Sprache. Journalistische Schreibe hat sich in Templates verwandelt – im Wirtschaftsteil wie im Feuilleton. Die Angst vor dem Algorithmus ist die Angst, selbst einer zu sein.
Dabei könnte gerade die Maschine helfen, das Denken zu schärfen. Wer mit ihr arbeitet, weiß: Sie spiegelt die eigene Präzision oder deren Mangel. Ein vager Befehl erzeugt vages Gerede; ein präziser Gedanke zwingt sie zur Tiefe. ChatGPT ist kein Autor, sondern ein Seismograph. Er zeigt, wie klar wir denken – oder wie sehr wir uns in Phrasen retten. Das ist keine Bedrohung, sondern eine pädagogische Chance.
Vielleicht ist das, was heute „Künstliche Intelligenz“ heißt, weniger künstlich, als uns lieb ist. Sie ist das kondensierte Echo unseres Diskurses. Wenn ihre Sprache leer klingt, dann, weil unsere Welt hohl spricht. Wenn ihre Texte gleich klingen, dann, weil unsere Vorlagen gleichförmig sind. Die Maschine hat keine Schuld. Sie hat nur ein gutes Gehör.
Am Ende ihrer Philippika schreibt Weissenberger, selbst zu schreiben werde bald zum Luxus. Vielleicht stimmt das. Aber nicht, weil Maschinen uns ersetzen. Sondern weil Originalität längst kein Kriterium mehr ist. Man verlangt heute Verfügbarkeit, nicht Stil; Output, nicht Haltung. Die Maschine erfüllt nur, was die Märkte verlangen – Effizienz, Reibungslosigkeit, Konsens. Und der Mensch? Er nennt das inzwischen Kultur.
Wer ihr Stück liest, erkennt die Tragik: Sie verurteilt den Stil der Maschine – und schreibt längst in seinem Rhythmus. Sie klagt den Verlust der Authentizität an, während sie denselben Takt bedient, den sie kritisiert. Das ist kein Zufall, sondern Symptom: Die Sprache ist längst algorithmisch geworden, noch bevor die Maschine sie berührte.



© Bildrechte: La Dernière Cartouche / LdLS
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