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Vergessene Achse: Elsass, Lothringen, Saarland
Von gemeinsamer Industriegeschichte zu verlorenen Zukunftschancen
Editorial
Manchmal verblasst Geschichte nicht durch Gewalt, sondern durch Gleichgültigkeit.
Die Regionen Elsass, Lothringen und Saarland waren einst Herzschläge Europas – geboren aus Kohle, Stahl und Leid. Heute, im Zeitalter der neuen Industrien, könnten sie erneut Brücken schlagen. Stattdessen herrschen politisches Desinteresse, nationale Eitelkeiten und die stille Erosion der Erinnerung.
Dieser Artikel ist eine Bestandsaufnahme – und ein Weckruf.“
E war einmal das industrielle Herz Europas: Elsass, Lothringen, Saarland – Regionen, durch Schicksal und Stahl miteinander verschweißt. Kriege rissen sie auseinander, doch Kohle und Erz brachten sie wieder zusammen. Heute, im Zeitalter des Wasserstoffs, könnten diese alten Brücken neue Wege weisen. Doch stattdessen: Stille. Stillstand. Und ein Versäumnis, das Fragen aufwirft.
Warum gibt es keine gemeinsame Strategie mehr?
Warum wird die Geschichte der Verbundenheit ignoriert, als wäre sie eine lästige Altlast?
Warum verpasst die Politik eine der letzten großen Chancen dieser Regionen – eine Zukunft aus dem Geist ihrer gemeinsamen Vergangenheit?
Schicksalsgemeinschaft: Kriege, Kohle und Stahl
Die Geschichte der Grenzregionen Elsass, Lothringen und Saarland ist eine Chronik des Aufbrechens und Wiederzusammenwachsens.
Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 fiel Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich, wurde nach 1918 wieder französisch, 1940 erneut deutsch besetzt – und kehrte 1945 endgültig zu Frankreich zurück.
Das Saarland, seinerseits zwischen Deutschland und Frankreich hin- und hergerissen, teilte viele dieser Brüche – nicht nur politisch, sondern auch kulturell und wirtschaftlich.
Die eigentliche Verbindung aber lag unter der Erde: Kohle und Eisenerz.
Lothringen war eines der größten Eisenerzvorkommen Europas. Im Saarland dröhnten die Hochöfen, pumpten Kokereien, zogen Förderbänder endlose Güterzüge.
Arbeiter wanderten über die unsichtbare Grenze: von Metz nach Völklingen, von Saarbrücken nach Thionville. Familien verbanden sich über Nationen hinweg, Sprachen vermischten sich.
Hier, zwischen Zeche, Hochofen und Grenzpfad, entstand eine Art Industrie-Patriotismus: Wer hier lebte, war mehr Saarländer-Lothringer-Elsässer als Deutscher oder Franzose.
Vom industriellen Herz zur Randzone Europas
Der Zusammenbruch der Montanindustrie in den 1970er- und 80er-Jahren stürzte alle drei Regionen gleichermaßen in eine Identitätskrise.
Doch während Paris und Berlin in die strahlenden Zukunftsregionen investierten, blieben die alten Industrielandschaften sich selbst überlassen. Fördergelder versickerten, Strukturwandel blieb ein Schlagwort.
Die grenzüberschreitende Kooperation, die in den Reden europäischer Gipfel so oft beschworen wurde, verkam in der Realität zu einem verwässerten Schlagabtausch kleiner Projekte. Das große Ganze – ein gemeinsamer wirtschaftlicher, kultureller und politischer Neubeginn – blieb aus. Die Achse Elsass-Lothringen-Saarland, einst pulsierend und stolz, wurde zum vergessenen Rädchen am Rand der großen Nationalstaaten.
Heute: Wasserstoffträume – und politische Trägheit
Ironischerweise könnte gerade die Natur den vergessenen Regionen neues Leben einhauchen:
In Lothringen, genauer gesagt in der Region Moselle, wurden bedeutende natürliche Wasserstoffvorkommen entdeckt – ein Schatz in einer Welt, die verzweifelt nach neuen Energiequellen sucht.
Hier könnte die alte Schicksalsgemeinschaft auf neue Weise erstehen:
Ein gemeinsames Wasserstoffprojekt, grenzübergreifende Forschungszentren, ein neuer industrieller Korridor entlang der Moselachse.
Doch wer sich umschaut, sieht: Nichts dergleichen passiert.
Weder das Saarland noch Lothringen noch das Elsass präsentieren ernsthafte, miteinander verzahnte Zukunftsvisionen.
Die Chance zur Wiederbelebung versickert wie Wasserstoff im Wind.
Ursachen: Nationale Egoismen, fehlende Visionen, müde Grenzregionen
Die Gründe für das Schweigen sind zahlreich – und unbequem. Frankreich denkt zentralistisch: Paris entscheidet, die Regionen folgen. Die Provinzen, ob Korsika oder Elsass, gelten als romantische Kulisse – nicht als Motoren.
Deutschland denkt föderal – aber nur dort, wo sich Macht lohnt: München, Berlin, Hamburg. Das Saarland, längst zum Symbol des „kleinen Bundeslandes“ degradiert, bekommt politische Aufmerksamkeit nur, wenn Wahlen anstehen oder Kohleausstiegsschlagzeilen produziert werden müssen.
Und Europa? Europa feiert sich selbst mit Leuchtturmprojekten. Aber jenseits der Broschüren gibt es keine echte Strategie für die ehemals produktivsten Grenzräume des Kontinents. Die Folge: Die Menschen an der Saar, in Lothringen, im Elsass spüren die Entfremdung. Die Identität bröckelt. Die Erinnerungen verblassen. Und mit ihnen die Chancen.
Was möglich wäre – wenn man wollte
Dabei liegt das Potenzial auf der Hand:
- Ein gemeinsames Wasserstoffcluster, mit Saarbrücken, Metz und Straßburg als Innovationsdreieck.
- Europäische Investitionsprojekte, die nicht nach politischen Gunstzonen verteilt werden, sondern nach historischer Verbundenheit.
- Kulturelle Wiederannäherung, von den Schulen über Medien bis zu Festivals, die die gemeinsame Geschichte feiern.
Die vergessene Achse könnte wieder das werden, was sie einmal war:
Nicht Hinterland, sondern Herzland.
„Wo früher Kohle und Stahl Brücken schlugen, herrscht heute Schweigen. Doch wer sich seiner gemeinsamen Geschichte nicht erinnert, verpasst auch die gemeinsame Zukunft.“
Elsass, Lothringen, Saarland – sie hätten noch eine gemeinsame Stimme. Sie müssten sie nur endlich wieder erheben.
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