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1957 – erste Wiedervereinigung?

Ein Kommentar zu der Rede von Anke Rehlinger zum Tag der Deutschen Einheit

Louis de la SARRE

✍️ Louis de la SARRE

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📰 Medium: La Dernière Cartouche

Ein Kommentar zur historischen und staatsrechtlichen Einordnung der saarländischen Eingliederung 1957

Zwischen juristischer Präzision und politischer Rhetorik.

Wenn Anke Rehlinger am Tag der Deutschen Einheit das Jahr 1957 zur „ersten Wiedervereinigung“ erklärt, dann bedient sie sich einer Formulierung, die mehr Pathos als historische Genauigkeit enthält. Denn um von Wiedervereinigung sprechen zu können, muss es zwei politische Körper gegeben haben, die auseinandergetreten sind und sich dann wieder vereinen. Ein solches Konstrukt existierte an der Saar nicht.

Das, was wir heute „Saarland“ nennen, ist ein Produkt der Nachkriegszeit. Vor 1945 war die Region ein Flickwerk preußischer und bayerischer Verwaltungsbezirke. 1920 entstand daraus das „Saargebiet“ – eine Zone unter Völkerbundsmandat, französisch verwaltet, aber völkerrechtlich weiterhin deutsches Territorium¹. 1935 endete dieses Provisorium durch ein Plebiszit, und das Gebiet wurde Teil des Deutschen Reiches². Einen souveränen saarländischen Staat hat es bis dahin nie gegeben.

Erst 1947 schuf Frankreich ein „autonomes Saarland“ mit eigener Verfassung und eigener Währung³. Doch auch dieses Gebilde war kein Staat, sondern ein Besatzungskonstrukt – ein Sonderverwaltungsraum unter Pariser Regie, international kaum anerkannt⁴. Am 1. Januar 1957 trat dieses Konstrukt der Bundesrepublik Deutschland bei, auf Grundlage von Artikel 23 des Grundgesetzes⁵. Juristisch war dies eindeutig ein Beitritt, keine Wiedervereinigung.

Dass Adenauer damals in Saarbrücken von „Rückkehr“ und „zurückgegeben“ sprach, war politische Rhetorik, kein präziser Befund. Bundespräsident Heuss wiederum sprach in größeren, philosophischen Bildern vom „Gesetz wechselvoller Geschichte“, ohne den Begriff „Wiedervereinigung“ zu bemühen. Schon in der damaligen Sprache wird deutlich: Es ging um Deutungshoheit, um Symbolkraft – nicht um juristische Genauigkeit.

Wahr ist: 1957 war ein Einschnitt, ein Ende der französischen Sonderrolle und eine Integration in die Bundesrepublik. Aber es war keine „erste Wiedervereinigung“. Es gab keinen saarländischen Staat, der sich wieder mit Deutschland verband, und es gab auch keine „Rückkehr“ zu einer Bundesrepublik, die 1945 noch gar nicht existierte.

Wer 1957 als „erste Wiedervereinigung“ bezeichnet, verschiebt die Perspektive. Er suggeriert ein zweites Deutschland an der Saar, das so nie existierte. Er verklärt eine Eingliederung in einen jungen westdeutschen Staat zu einem Akt nationaler Einheit. Damit entsteht ein Mythos, der die eigentliche deutsche Einheit von 1990 verwässert und die Besonderheit der saarländischen Geschichte verstellt.

Das Saarland ist weder Heimkehrer noch verlorener Sohn. Es ist ein Grenzraum, ein Kulturraum, der mal unter deutscher, mal unter französischer Verwaltung stand – und der 1957 in die Bundesrepublik integriert wurde. Nicht mehr und nicht weniger.

1957 war keine „Wiedervereinigung“, sondern die Eingliederung eines besetzten Grenzraums in die junge Bundesrepublik – ein juristischer Akt, kein nationales Wunder.

Quellen- und Nachweisverzeichnis

  1. Versailler Vertrag (1919), Artikel 45–50
    Das Saargebiet wurde für 15 Jahre unter die Verwaltung des Völkerbunds gestellt, blieb aber völkerrechtlich Teil des Deutschen Reiches. Vertragstext (englisch, Avalon Project) · Yale Law School
  2. Volksabstimmung 1935 Amtliches Ergebnis 90,8 % der Saarbevölkerung stimmten für die Rückkehr ins Deutsche Reich.
    Reichsgesetzblatt 1935, Teil I, S. 133 · Digitalisat
  3.  Verfassung des Saarlandes (1947) Sekundärrahmen
    Die „Verfassung des Saarlandes“ trat am 17. Dezember 1947 in Kraft, jedoch ohne völkerrechtliche Anerkennung als Staat.
    Amtsblatt des Saarlandes 1947, S. 1077 · Aktuelle Fassung
  4. Internationale Anerkennung des „autonomen Saarlandes“
    Die Saar war kein Mitglied der Vereinten Nationen und wurde von den Westalliierten (außer Frankreich) nicht als souveräner Staat anerkannt. Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1949–1956, Bd. 1, Dok. 124 · Analyse (IfZ, PDF)
  5. Saarvertrag (1956) und Beitritt 1957
    Der deutsch-französische Vertrag vom 27. Oktober 1956 regelte die Eingliederung der Saar in die Bundesrepublik, umgesetzt ab 1. Januar 1957. Bundesgesetzblatt 1956, Teil II, S. 1587 · BGBl II Bezug zu Art. 23 GG a. F. (Beitrittsmechanismus) · Parlamentarischer Rat
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