🥄 Savoir-vivre an der Grubenkante

Wie französische Wörter entgleisen – und das Saarland sie ganz anders lebt

Louis de la SARRE Siegel

✍️ Louis de la SARRE

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Autor, Herausgeber und geistiger Architekt von La Dernière Cartouche. Ich schreibe an der Schnittstelle von Politik, Geschichte und Medienkritik – analytisch, meinungsstark, unabhängig. Mein Fokus liegt auf europäischen Fragen, vergessenen Perspektiven und der Rehabilitierung des gesunden Menschenverstands im Zeitalter der ideologischen Nebelwerfer. La Dernière Cartouche ist kein Nachrichtenportal, sondern ein Ort für Klartext, Tiefenschärfe und intellektuelle Gegenwehr.

📂 Rubrik: Kunst & Kultur
🗓️ Veröffentlichung: 10. Mai 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

🍽 Was wir falsch verstehen

Beginnen wir mit einem Missverständnis, das in deutschen Mündern seit Jahrzehnten gedeiht wie Béchamel in einer schlecht belüfteten Küche:

Gourmand = Vielfraß, Gourmet = Feinschmecker.

So steht’s im Duden. Und so ist es falsch.

Der Gourmand, im Französischen, ist kein hemmungsloser Esser, sondern – laut Académie culinaire de France – ein Liebhaber aller Tafelgenüsse. Leidenschaftlich, ja. Übertrieben, vielleicht. Aber mit Stil.

Der wahre Vielfraß heißt glouton – und leidet an gloutonnerie.
Was der Duden daraus gemacht hat, ist kein sprachliches Versehen, sondern ein kulturelles Geständnis.

Der Gourmet wiederum stammt aus dem Weinkeller. Das Wort kommt über das englische groomet – einen königlichen Weinknaben – ins Französische. Erst später wurde daraus ein Weinkenner, dann ein allgemeiner Feinschmecker, heute ein Symbol für stilisierten Genuss.

Brillat-Savarin, der große gastronomische Philosoph, war ein Gourmand im besten Sinn: gebildet, urteilsfähig, lebensklug. Vom Wein, schrieb er, verstehe er wenig – dafür aber viel vom Leben.
Und genau da liegt der rote Faden, der von der französischen Begriffswelt in eine deutsche Grenzregion führt, die mit Frankreich mehr teilt als eine Geschichte – nämlich eine Haltung: das Saarland.

Vielleicht erklärt sich auch aus dieser Verschiebung ein deutsches Missverständnis: Wer hierzulande – oft, aber nicht nur in gutbürgerlichen Restaurants südlich des Mains – einkehrt, bekommt einen Eindruck davon, warum der Begriff Gourmand im Deutschen bis heute einen Beigeschmack hat.

Es geht nicht selten um zwei Dinge: 
Erstens: Die Portion muss groß sein – idealerweise so, dass sie auch für eine dreiköpfige Familie reichen würde.
Zweitens: Sie muss billig sein – nicht günstig, sondern billig.

Was daraus entsteht, ist weniger ein kultureller Genuss als ein kalorischer Beweisakt: Ich hab für mein Geld was gekriegt.
Vielleicht genau deshalb wird der Gourmand im Deutschen nicht als Genießer verstanden, sondern als jemand, der übertreibt.

Es ist ein stiller affront culturel – aber einer, der sich gewaschen hat!


🪶 Savoir-vivre – aber anders

Man sagt den Saarländern gerne ein gewisses Savoir-vivre nach. Doch was damit gemeint ist – und was tatsächlich gelebt wird –, das sind zwei sehr verschiedene Dinge.
Denn Savoir-vivre heißt im Französischen nicht „gutes Essen und ein bisschen Lässigkeit“. Es heißt:

Die Kunst, würdevoll und klug zu leben – auch in schwierigen Umständen.

Und wenn es in Deutschland einen Ort gibt, an dem genau das über Generationen zur Lebensform geworden ist, dann im Saarland – zwischen Saarlouis, Dillingen und Saarbrücken –, nicht aus Leichtigkeit, sondern weil man dort gelernt hat, mit Würde durchzuhalten.


🪶 Wo wir gerade beim Leben sind…

Doch dieses Bild vom saarländischen Savoir-vivre hält sich hartnäckig – auch innerhalb des Saarlands selbst.
„Leben wie Gott in Frankreich“, denkt man. Ein bisschen Frankreich, ein bisschen Lässigkeit, ein bisschen Lyoner und Rotwein.

Doch wer genau hinsieht, merkt schnell: Im Saarland bedeutet Savoir-vivre nicht, sich das Leben leicht zu reden – sondern es so zu nehmen, wie es ist, und etwas daraus zu machen.
Vielleicht bringt es ein Spruch besser auf den Punkt als jedes Fremdwort:

„Erst mol gudd gess – geschafft hann mir dann gleich!“

Das ist kein Witz und kein Trost. Das ist eine Haltung.
Wer weiß, dass das Leben mühsam wird, bereitet sich vor.
Und im Saarland tut man das im Zweifelsfall immer mit einem guten Essen.

Und wenn es eine Region gibt, in der das gelebt wurde – mit Würde, Humor und Widerstandskraft –, dann ist es das Saarland.
Denn leicht war das Leben dort nie. Politisch nicht. Wirtschaftlich nicht. Biografisch schon gar nicht.

Die saarländische Art zu leben ist keine Attitüde. Sie ist vernünftig – um das Leben ertragen zu können.


🎯 Was bleibt?

Ja – die Saarländer wissen zu leben.
Aber nicht so, wie man es ihnen nachsagt. Nicht als folkloristische Franzosen. Und nicht aus Überfluss.
Sondern aus Erfahrung, aus Würde, aus einer unaufgeregten Form von Weltklugheit.

Vielleicht lebt das Saarland französischer, als es selbst zugeben würde – und weiß besser zu leben, als es sich je auf die Fahne geschrieben hat.


Lexikon | Französisch leben

Gourmand

Kein Vielfraß, sondern ein Liebhaber aller Tafelgenüsse (Académie culinaire de France). Wird im Deutschen oft fälschlich mit Maßlosigkeit assoziiert. Der echte Vielfraß heißt glouton, sein Laster: gloutonnerie.

Gourmet
Ursprünglich ein Weinkenner – vom englischen groomet abgeleitet. Heute oft als Feinschmecker verstanden, jedoch stilistisch auf Genussästhetik reduziert.

Brillat-Savarin
(1755–1826) Jurist, Gastrosoph und Autor der Physiologie du goût. Er verband Lebenskunst mit kulinarischer Urteilskraft und prägte das Denken über Geschmack weit über Frankreich hinaus.

Savoir-vivre
Nicht Lässigkeit oder Folklore, sondern: „Die Kunst, würdevoll und klug zu leben – auch in schwierigen Umständen.“ Im Saarland kein Stil, sondern ein geerdetes Lebenswissen.

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