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Der tote Ernst

Warum der Humor verdächtig wurde

Pierre Marchand Siegel

✍️ Pierre Marchand

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Pierre Marchand schreibt für La Dernière Cartouche über imperiale Linien, tektonische Verschiebungen und die wahren Bewegungen hinter den Flaggen. Er ist kein Kommentator, sondern Chronist – nicht von Ereignissen, sondern von Zusammenhängen. Geprägt von der Schule Scholl-Latours, denkt er kontinental, schreibt verdichtet und urteilt nie schneller, als er recherchiert. Marchand war lange als Auslandskorrespondent in Algerien, Jugoslawien, der Sahelzone und zuletzt in der Osttürkei unterwegs. Er glaubt nicht an Verschwörungen – aber an Interessen. Und an das Gedächtnis der Geographie.

📂 Rubrik: Wort-Guerilla
🗓️ Veröffentlichung: 28. Mai 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

Dieter Hallervorden: Humor als Provokation

Dieter Hallervorden, ein Urgestein der deutschen Comedy und Schauspielkunst, hat sich in den letzten Jahren wiederholt zu einem kontroversen Thema geäußert: der politischen Korrektheit und dem Thema Gendern. Der 87-jährige Künstler, der mit seiner Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit Generationen unterhielt, hat sich vor allem gegen die künstliche Einmischung in die deutsche Sprache ausgesprochen. Besonders bemerkenswert war seine Aussage, dass das Gendern eine „Vergewaltigung der deutschen Sprache“ darstelle und dass er die politische Korrektheit als übertrieben empfinde.

Hallervorden hat wiederholt betont, dass die Satire und der Humor das Recht hätten, Grenzen auszuloten und gesellschaftliche Normen herauszufordern. In seinen Augen führt die „woke“ Gesellschaft dazu, dass man nicht mehr das sagen darf, was man denkt, ohne sich der Zensur und dem Vorwurf der Unangemessenheit auszusetzen. Diese Haltung hat in der Öffentlichkeit teils heftige Reaktionen ausgelöst – einige unterstützen ihn, während andere seine Aussagen als anstößig und problematisch ansehen.

Der Schauspieler, bekannt für seinen scharfsinnigen Humor, nimmt in seiner Kritik an der politischen Korrektheit kein Blatt vor den Mund. In einem jüngsten Auftritt bei der ARD-Gala sorgte er erneut für Aufsehen, als er alte Witze, die Begriffe wie „Negerkuss“ oder „Zigeunerschnitzel“ beinhalteten, wieder aufgriff – und damit die Diskussion über den Umgang mit Sprache in der heutigen Gesellschaft anheizte.

Hallervorden stellt sich als Verteidiger der Meinungsfreiheit dar und fordert, dass Humor nicht von politischen Ideologien oder gesellschaftlicher Empörung geprägt werden darf. Doch diese Haltung wird zunehmend als problematisch wahrgenommen, da viele seiner Witze als unangemessen und rassistisch empfunden werden.

Hallervorden bleibt dennoch ein Symbol für die Freiheit des Wortes – auch wenn diese Freiheit heutzutage immer wieder infrage gestellt wird.

In einer Zeit, in der politische Korrektheit und gesellschaftliche Sensibilitäten zunehmend über den Alltag bestimmen, hat Humor – der jahrhundertelang als rebellische Waffe gegen die Mächtigen galt – eine seltsame Wendung genommen. Was einst als subversives, befreiendes Element der Kommunikation gefeiert wurde, ist heute ein Terrain geworden, auf dem die Regeln nicht nur eng, sondern auch zunehmend undurchschaubar sind. Humor, der vor wenigen Jahrzehnten noch als harmloser Spaß galt, wird zunehmend als gefährlich betrachtet – als Angriff auf Werte, als Bedrohung für den gesellschaftlichen Konsens, als „unangebracht“ oder gar „unangemessen“.

Der „tote Ernst“ bezeichnet hier das Unbehagen, das die Gesellschaft empfindet, wenn etwas, das eigentlich als humorvoll verstanden werden sollte, plötzlich zu einem gefährlichen Instrument der Kritik wird. Es ist die Paradoxie unserer Zeit: Der Humor, der in der Vergangenheit als befreiend und heilend galt, wird heute als ein Werk der Zerstörung betrachtet. Aber warum ist das so? Warum hat der Humor seine Unschuld verloren?

Humor als politisches Werkzeug

Um diese Frage zu verstehen, muss man sich die Entwicklung der politischen Landschaft und die Rolle des Humors darin genauer ansehen. Während der Humor im 20. Jahrhundert häufig als ein Mittel des Widerstands gegen politische Autoritäten und gesellschaftliche Normen gesehen wurde, hat er in der modernen, postmodernen Ära eine andere Funktion angenommen. Er ist nicht mehr nur ein Werkzeug des Widerstands, sondern auch ein Instrument des Konsenses. Manchmal wird Humor als eine Art „Führungsinstrument“ verwendet, um den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen – aber oft ist er auch die scharfe Klinge, die gesellschaftliche und politische Widersprüche aufdeckt.

In einer Zeit der „Cancel Culture“ und der schnellen Verurteilung von Verhaltensweisen oder Aussagen hat Humor eine gefährliche Schattierung bekommen. Was gestern noch als Witz galt, kann heute als anstößig oder sogar gefährlich angesehen werden. Witze, die aus der Geschichte oder aus sozialen Normen heraus die Institutionen hinterfragen, sind in ihrer Funktion als Satire immer noch wichtig. Aber sie sind weniger akzeptiert, da sie als Bedrohung für den sozialen Frieden empfunden werden können.

Der Verlust der Humorfreiheit

In gewisser Weise hat Humor in der heutigen Gesellschaft den Freiheitsgrad verloren, den er einst genoss. Ein „Witz“ in der Vergangenheit war vielleicht ein Moment des Eskapismus oder ein Mittel, um über unangenehme Themen hinwegzukommen. Heutzutage jedoch ist der Humor zu einer Plattform geworden, auf der Menschen nicht nur befreit, sondern auch über deren moralische und politische Ansichten urteilen. Besonders im digitalen Zeitalter ist es nicht mehr nur ein Witz, den man hört – es ist auch die Antwort darauf, wie die Gesellschaft diesen Humor als legitim oder gefährlich einstuft.

Humor, der einmal aus dem Bedürfnis heraus entstand, gegen Autorität und Normen zu kämpfen, wird nun von einer anderen Art von Autorität – nämlich der sogenannten „politischen Korrektheit“ – überprüft. Die Frage stellt sich, ob der Humor, der einst die Macht hatte, die Welt herauszufordern, heute in seiner Funktion als gesellschaftliches „Mittelmaß“ erstickt wird. Was die Gesellschaft in früheren Zeiten als heilsamen Witz empfand, wird heute als Anstiftung zur Unordnung wahrgenommen.

Der Humor als Widerstand

Und doch bleibt der Humor eines der mächtigsten Instrumente, die uns zur Verfügung stehen. Der Humor wird immer das Fundament sein, auf dem die Freiheit und die Gesellschaft als Ganzes aufbauen. Wenn der Humor stirbt, dann stirbt ein Stück der Freiheit – nicht nur in seiner Funktion als kulturelles Phänomen, sondern als Ausdruck der tiefen, menschlichen Rebellion gegen das Unrecht, gegen die Normen und gegen die Institutionen, die uns beschränken wollen.

In diesem Sinne kann Humor als eine der letzten Formen des Widerstands gegen die politische Korrektheit und den „toten Ernst“ angesehen werden. Ein Witz, der in seiner Schärfe und Direktheit wahre Kritik übt, kann der einzige Weg sein, der Wahrheit in einer Welt Platz zu verschaffen, in der die Offenheit für Kritik und Spott immer mehr eingeschränkt wird.

Die Reaktionen in Deutschland und Frankreich

In Deutschland wird die Frage aufgeworfen, ob Humor in Zeiten politischer Korrektheit noch erlaubt ist. Der Kabarettist Marius Jung betont, dass politische Korrektheit für ihn vor allem Respekt bedeutet. Er kritisiert jedoch, dass die Diskussion über Begrifflichkeiten oft wichtiger erscheint als der eigentliche Inhalt. Jung warnt davor, dass das Verbot bestimmter Begriffe dazu führen kann, dass Probleme nicht mehr offen angesprochen werden. Diese Haltung wird als eine Einschränkung der Meinungsfreiheit wahrgenommen, da Humor zunehmend als gefährlich gilt. Der Humor, der früher als Waffe gegen den Autoritarismus galt, wird heute als Bedrohung des sozialen Friedens gesehen.

In Frankreich hingegen wird Humor als notwendig für die Demokratie betrachtet. Komiker wie Mahaut Drama betonen, dass Humor die Macht entzaubern und die Gesellschaft auf ihre Widersprüche hinweisen kann. Doch auch in Frankreich sieht man zunehmend die Gefahr, dass Humor als subversives Element von politischen Bewegungen vereinnahmt wird. Die Frage bleibt, wie der Humor in einer sich immer weiter polarisierten Welt weiterhin als Werkzeug der Gesellschaftskritik bestehen kann, ohne den Ballast politischer Agenden zu tragen.

Die Herausforderung für den Humor in der modernen Welt besteht nicht darin, seine Relevanz zu beweisen, sondern in der Verteidigung seiner Freiheit. Denn der Humor ist, wie jede andere Form des Ausdrucks, von Natur aus ein gefährlicher Akt – ein Akt der Wahrheit, der, wenn er nicht richtig kontrolliert wird, die bestehenden gesellschaftlichen Ordnungen herausfordern kann. Aber vielleicht ist gerade das der Grund, warum Humor nach wie vor so wichtig ist – weil er es wagt, das Unbequeme zu sagen und uns daran zu erinnern, dass das Lachen im Angesicht der Wahrheit eine der letzten Formen der Freiheit ist, die uns geblieben ist.

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