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Die neuen toten Zonen der Republik
Von der Banlieue zur ehemaligen Industrieregion
Ein Dossier von Pierre Marchand | La Dernière Cartouche – Chambre Noire
Man spricht viel über die Banlieues. Über Beton, Brennpunkte, verlorene Jugend, die berühmten „Quartiers sensibles“. Sie stehen im Zentrum politischer Debatten, sie brennen, sie schreien, sie protestieren. Und doch sind sie nicht allein. Es gibt einen anderen Raum des Verschwindens, einen stilleren. Keine Wut, kein Aufstand – nur Leere. Die entkernten Industriegebiete der Republik. Die neuen toten Zonen Frankreichs.
In den Jahren des Aufbaus war es die Provinz, die arbeitete. Sie trug den Wiederaufbau, die Modernisierung, den Export. Die Kohle kam aus der Grube, das Eisen aus der Hütte, das Brot vom Hof. Die Republik ruhte auf der Kraft derer, die nicht in Paris wohnten. Heute ruht sie dort nicht mehr. Sie ruht gar nicht mehr. Sie schwebt.
Was von der Arbeit blieb, sind Hallen ohne Fenster. Gemeinden ohne Schule. Jugend ohne Ziel. Nicht in der „cité“, sondern auf dem Land. In Villerupt. In Hayange. In Bar-le-Duc. In Forbach. Die Städte, in denen es einst Lohn, Stolz und Rhythmus gab, sind heute graue Kartenpunkte, auf denen keine Geschichte mehr geschrieben wird. Sie existieren – aber nur noch in Wahlergebnissen, in Sozialstatistiken, in leeren Zügen.
Diese Orte sind nicht explodiert wie die Vororte von Paris. Sie sind implodiert. Leise. Schleichend. Sie haben keine Revolten hervorgebracht, sondern Ernüchterung. Ihre Bewohner wählen nicht aus Protest – sie wählen aus Enttäuschung. Oder sie wählen gar nicht mehr. Denn sie wissen: Die Republik hat sie vergessen. Nicht als Skandal, sondern als Routine.
Der Unterschied zur Banlieue ist nicht nur geografisch. Er ist atmosphärisch. In der Peripherie der Republik herrscht kein Aufbegehren, sondern Müdigkeit. Kein Feuer, sondern Nebel. Kein Lärm, sondern eine Art chronischer Funkstille. Hier geht es nicht um Integration. Es geht um Sichtbarkeit. Um das einfache, fast kindliche Bedürfnis, gezählt zu werden.
Der französische Staat hat gelernt, die Probleme der Vorstädte zu verwalten. Mit Polizei, mit Prävention, mit Urbanismus. Doch für die toten Zonen der ehemaligen Industrie fehlt ihm die Sprache. Es gibt keine Spezialprogramme für würdelose Schließungen. Keine Mediation für rostende Industrieparks. Kein urbanes Vokabular für das ländliche Nichts.
Und so bleibt diese andere Seite der Krise unsichtbar. Genau wie ihre Opfer. Es sind keine Jugendlichen mit Kapuzenpullover – es sind Großeltern mit Erinnerungen. Männer mit Narben von der Arbeit. Frauen mit Renten, die das Wort „Würde“ nicht mehr tragen dürfen. Und ihre Kinder, die längst fortgezogen sind.
Vielleicht ist es an der Zeit, auch diese Leere zu benennen. Sie hat keinen Namen, kein Fernsehen, keine NGO. Nur ein Gefühl: Man hat uns versprochen, dass es weitergeht. Aber es ist nicht weitergegangen.
Von Musik kaum noch eine Spur: Der Eurovision Song Contest hat sich in ein identitätspolitisches Spektakel verwandelt. Was einst Europa verband, wird heute in Lichtzeichen zerlegt.
Es war einmal ein Land, das sich weigerte, eine einfache Antwort auf seine Zugehörigkeit zu geben.
Es beginnt mit einem Geräusch, das fehlt. Dem Blättern. Dem leisen Husten in einer Ecke.