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Dürre ist kein Naturereignis mehr – sie ist das Ergebnis politischer Kurzsichtigkeit. Was hilft: kein Krisenrat, sondern ein Wasserpakt. Kein Rüstungsetat, sondern ein Reservoir.

Warum Europa an der Klimafront versagt – und was jetzt getan werden müsste

Trockener Boden, trockene Politik

Pierre Marchand Siegel

✍️ Pierre Marchand

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Pierre Marchand schreibt für La Dernière Cartouche über imperiale Linien, tektonische Verschiebungen und die wahren Bewegungen hinter den Flaggen. Er ist kein Kommentator, sondern Chronist – nicht von Ereignissen, sondern von Zusammenhängen. Geprägt von der Schule Scholl-Latours, denkt er kontinental, schreibt verdichtet und urteilt nie schneller, als er recherchiert. Marchand war lange als Auslandskorrespondent in Algerien, Jugoslawien, der Sahelzone und zuletzt in der Osttürkei unterwegs. Er glaubt nicht an Verschwörungen – aber an Interessen. Und an das Gedächtnis der Geographie.

📂 Rubrik: die Frontlinie
🗓️ Veröffentlichung: 21. Mai 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

Ein Artikel von Pierre Marchand

Es sind keine Bilder aus dem Sahel. Keine Satellitenaufnahmen aus Kalifornien. Es sind deutsche Felder im Mai 2025. Rissiger Boden, verdorrte Halme, Landwirte mit leerem Blick. Was früher als Ausnahme galt, ist jetzt Struktur – eine klimatische Realität, die auf politische Irrealität trifft.

Während sich Meteorologen die Zunge wund reden und Landwirte ihre Existenz verlieren, debattiert die politische Klasse über Panzerlieferungen und Rüstungshaushalte. Es ist, als stünde das Haus in Flammen – und man diskutierte über den Einbau einer Alarmanlage.

Die neue Normalität – Dürre ist kein Ausreißer mehr

Die Wetterdaten sind eindeutig. Seit Februar hat es in vielen Regionen Deutschlands kaum geregnet. In Mannheim kein nennenswerter Niederschlag seit Wochen. In Sachsen-Anhalt schrumpfen die Flüsse. In Brandenburg sinkt der Grundwasserspiegel.

Der Dürremonitor zeigt alarmierende Karten: über 60 % der landwirtschaftlichen Nutzflächen sind bereits von „außergewöhnlicher Trockenheit“ betroffen. Die Bauern sprechen vom „Totalausfall“. Und das im Frühjahr – der eigentlichen Saatzeit für das ganze Jahr.

Die Heuernte bricht ein, die Maisaussaat verdorrt, und in vielen Regionen wird Wasser zur Überlebensfrage.

Und doch tut die Politik überrascht – als käme diese Entwicklung aus dem Nichts. Jahr für Jahr steigen die Temperaturen, häufen sich die Dürrejahre – und Jahr für Jahr wirkt es, als habe man davon noch nie gehört. Noch absurder: Die Medien, die sich früher einmal als kritisches Korrektiv verstanden, nutzen das Thema heute oft nur noch zur Erzeugung von Klicks und Reichweite. Statt Druck auf Entscheidungsträger auszuüben, verbreiten sie Betroffenheitsbilder und Panikformeln – aber ohne Konsequenz, ohne Forderung.

Was fehlt, ist genau das, was Journalismus einmal war: aufklärend, faktennennend, fordernd. Es wäre die Aufgabe jeder verantwortungsvollen Redaktion, Regierungshandeln einzufordern, Lösungsansätze aufzuzeigen und Verantwortung zu benennen – nicht nur Schlagzeilen zu produzieren. Denn wer das Schweigen verwaltet, macht sich mitverantwortlich für das politische Vakuum..

Die europäische Antwort? Symbolpolitik

Auf den ersten Blick tut Europa einiges:
„Horizon Europe“, das LIFE-Programm, FARMWISE, PRIMA – Namen, die nach Innovation klingen. Und tatsächlich: Es wird geforscht, modelliert, gefördert. Von KI-gestützter Tropfbewässerung über mediterrane Anpassungsstrategien bis hin zu Visionen für eine „Water Resilience Strategy“.

Doch wer genauer hinsieht, erkennt ein Muster: Die Programme sind fragmentiert, akademisch und oft auf Teilräume beschränkt. Der Fokus liegt auf Projektanträgen und Berichten, nicht auf konkreter Umsetzung. Es gibt keinen strategisch abgestimmten Plan zur Wasserverteilung in Zentraleuropa, keine transeuropäischen Wasserachsen, keine operative Infrastrukturpolitik – sondern nur Empfehlungen, Pilotversuche und Studien.
Während Südeuropa die Trockenheit längst als Sicherheitsfrage begreift, behandelt Brüssel sie als Forschungsthema.
Die wenigen vorhandenen Initiativen – etwa im Rahmen von PRIMA oder Horizon Cluster 6 – beschäftigen sich vor allem mit Simulationen, regionalen Anpassungen und „Good Practices“. Aber: Keines dieser Programme greift das zentrale Problem an – die physische, koordinierte und resiliente Umverteilung von Wasser zwischen den Regionen Europas.

Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) vergibt weiter rund 55 Milliarden Euro jährlich, davon über 70 % in flächengestützte Direktzahlungen, unabhängig von Klimaresilienz, Wasserknappheit oder landwirtschaftlicher Notlage. Wer Fläche hat, bekommt Geld. Wer Dürre hat, bekommt Broschüren.

Europa denkt in Förderlogiken, nicht in Flussläufen. In Forschungsclustern, nicht in Wasserleitungen. Was fehlt, ist ein europäischer Wasserpakt. Eine Vision für ein zukunftsfähiges Netzwerk aus Speichern, Rückhaltebecken, Pipelines und Koordinierungsinstanzen. Zwischen Alpen und Nordsee, Donau und Ebro. Denn Flüsse kennen keine Grenzen – und Wasserknappheit auch nicht. Solange dieses System fehlt, bleibt vieles Symbolpolitik. Modern im Anstrich, aber wirkungslos im Boden.

Blick über den Tellerrand – wer es besser macht

Israel recycelt 85 % seines Abwassers und bewässert seine Felder mit Präzision. Australien hat mit dem Murray-Darling Basin Plan einen länderübergreifenden Wassermarkt geschaffen – mit festgelegten Umweltzielen und handelbaren Wasserrechten.
Kalifornien investiert Milliarden in Speicher, Wiederaufbereitung und Entsalzung – flankiert von Notfallgesetzen und regionalen „Water Budgets“. Indien revitalisiert alte Speicherbecken und kombiniert sie mit modernem Drip-System. Peru gewinnt Trinkwasser aus Nebel. Russland verlagert Ackerbau strategisch nach Sibirien – in Erwartung eines wärmeren Klimas.

Auch in China, Südafrika und Südamerika wird gehandelt: China betreibt gigantische Wasserumleitungen (Süd-Nord-Projekt), setzt auf Cloud Seeding und baut Entsalzungsanlagen entlang der Küste. Afrikanische Länder wie Burkina Faso arbeiten mit der „Zai“-Technik: Kleinstgruben, die Regenwasser speichern und den Boden reaktivieren. In Brasilien und Kolumbien gewinnen agroforstliche Systeme an Boden – resiliente Mischkulturen ersetzen wasserintensive Monokulturen.
Und Europa?

Europa debattiert, analysiert, modelliert – aber es baut nicht. Es koordiniert nicht, es verbindet nicht, es verschiebt nicht. Dabei liegen auch in Deutschland die Herausforderungen offen zutage: Weniger Schneefall in den Alpen bedeutet: sinkender Wasserstand im Bodensee, was wiederum die Rheinschifffahrt gefährdet – eine der zentralen Handelsachsen Europas.
Das Niederschlagsgefälle zwischen Südwest (z. B. Schwarzwald) und Nordost (Brandenburg, Sachsen-Anhalt) verschärft sich – während die einen Überflutungen fürchten, verdorren die anderen.

Flüsse wie Saar, Mosel oder Lech könnten in regulierte Speicher- und Umverteilungssysteme eingebunden werden – um Wasserstände auszugleichen, Grundwasserpegel anzuheben und Dürreperioden abzufedern. Renaturierte Tagebaue (z. B. in der Lausitz) bieten potenziell gigantische Speichervolumen – doch ihre Nutzung für landwirtschaftliche oder infrastrukturelle Versorgung wird bislang nicht koordiniert angedacht.
Diese Optionen gehören entweder ins Zentrum der Politik – oder sie bleiben ungenutzt.

Deutschland – ein Lehrbuch des Versäumnisses

Im eigenen Land sieht es kaum besser aus.
Besonders augenfällig: die Lausitz – durch den Braunkohleabbau geprägt, heute durch riesige Tagebaurestlöcher gezeichnet. Viele davon – wie der entstehende Cottbuser Ostsee oder der Zwenkauer See – werden seit Jahren geflutet. Das Volumen? Milliarden Kubikmeter. Doch dieses Wasser dient kaum der agrarischen oder infrastrukturellen Sicherheit – sondern dem Tourismus, der Imagepflege oder bleibt schlicht ungenutzt.

Dabei wäre die Nutzung solcher Restseen als strategische Wasserreserve längst technisch möglich – zur Stabilisierung des Grundwasserspiegels, zur saisonalen Zwischenspeicherung oder als Quelle für die Landwirtschaft. Warum passiert nichts? Weil die Zuständigkeiten zersplittert und voneinander abgeschottet sind:

Die LMBV (Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft) ist ausschließlich mit Altlastensanierung befasst – nicht mit Fragen der Agrarsicherheit, Wasserstrategie oder regionalen Versorgung.
Die Bundesländer agieren kleinteilig: Brandenburg plant für Brandenburg, Sachsen für Sachsen. Eine verbindliche Zusammenarbeit im Sinne eines länderübergreifenden Speichernetzes? Fehlanzeige.
Der Bund wiederum schweigt sich aus – weder gibt es einen nationalen Wasseraktionsplan, noch eine koordinierte Behörde mit Mandat, diese Ressourcen strategisch zu erfassen, zu vernetzen oder zu schützen.

Bezeichnend: In Deutschland existiert kein zentrales Register über verfügbare Wassermengen aus Renaturierungsflächen. Kein Förderprogramm zur technischen Einbindung dieser Speicher. Und keine gesetzliche Grundlage, die festlegt, dass solche Reserven im Krisenfall der landwirtschaftlichen Grundversorgung dienen müssen. Das ist kein Verwaltungsdetail – das ist ein strukturelles Staatsversagen.

In einem Land, das binnen Monaten Gasterminals aus dem Boden stampfen kann, fehlt es offenbar nicht an Ingenieuren – sondern am politischen Willen.

Ein nationales Versäumnis, ein europäisches Vakuum

In einem Land, das LNG-Terminals binnen Monaten baut, ist es offenbar nicht möglich, eine nationale Wasserleitung zwischen der regenreichen Eifel und den verdörrten Ebenen Brandenburgs zu verlegen.
Wasserpipelines, dezentrale Speicher, Verbünde zwischen Regionen mit Überschuss und Mangel – alles machbar. Technisch. Aber politisch? Totgeschwiegen.

Kein Verkehrsminister ruft zum Ausbau der Wassertrassen auf. Kein Kanzler verspricht den Bauern Infrastruktur. Kein Förderprogramm verbindet Regionen, Böden, Jahreszeiten.

Dabei wären die Herausforderungen offensichtlich: ungleich verteilte Niederschläge, schwindende Alpenspeicher, ein Bodensee, der sich zurückzieht – und ein Rhein, der streckenweise kaum noch schiffbar ist.

Der Klimawandel ist keine abstrakte Gefahr. Er ist ein Angriff auf die Lebensgrundlage.
Und wer glaubt, man könne die Ernährungssicherheit einem freien Markt oder der Hoffnung auf Regen überlassen, der macht aus Verantwortung ein Glückspiel.

Was jetzt geschehen muss – ein Zehn-Punkte-Plan gegen die klimatische Selbstvergessenheit

  1. 1. Einrichtung eines Nationalen Wasserrats
    Analog zum Ethikrat: interdisziplinär besetzt, mit öffentlichem Mandat zur strategischen Beratung von Parlament und Regierung.
  2. 2. Start eines europaweiten Wasser-Infrastrukturprogramms
    Pflichtbeiträge aller EU-Staaten zur Finanzierung transnationaler Leitungen, Rückhaltebecken und Speicher. Koordination über eine zentrale EU-Stelle.
  3. 3. Einführung eines Wasserfonds innerhalb der GAP
    Die Gemeinsame Agrarpolitik muss umgelenkt werden: nicht Fläche wird gefördert, sondern klimaresiliente Bewirtschaftung, ökologische Umstellung und regionale Vorsorge.
  4. 4. Einbindung der Landwirte als systemrelevante Partner
    Keine Symbolbeteiligung. Die Bauern brauchen Sitz und Stimme in nationalen Klima- und Wassergremien – als Sachkundige, nicht als Bittsteller.
  5. 5. Aufbau eines „Blauen Netzes Deutschland“
    Ein nationales Wassernetz – mit verbindenden Leitungen, Zwischenpuffern, dezentralen Reservoirs und einem Echtzeit-Überwachungssystem für Pegel und Verteilung.
  6. 6. Europaweites Frühwarnsystem für agrarische Extremereignisse
    Verlässliche Daten sind gut – aber ohne Entscheidungskompetenz nutzlos. Das System muss auch Eingriffsrechte haben: Notumverteilungen, Reservefreigaben, Krisenprotokolle.
  7. 7. Verankerung des Themas in Schulen und Universitäten
    Wasserkompetenz muss Allgemeinbildung werden. In Geografie, Biologie, Politik – von der Grundschule bis zur Ingenieursausbildung. Bildung schafft Bewusstsein – und Vorsprung.
  8. 8. Öffentlich-rechtliche Informationspflichten
    ARD, ZDF und öffentlich finanzierte Medien sollen verpflichtet werden, regelmäßig über Wasserlage, Risiken, Projekte und politische Entwicklungen zu berichten – faktenbasiert, unabhängig, aufklärerisch.
  9. 9. Gesetz zur strategischen Wasservorsorge
    Wie die Energiewende braucht auch die Wasserfrage ein rechtliches Fundament: mit nationalen Zielen, Speicherquoten, Infrastrukturplänen und Krisenvorsorgepflichten.
  10. 10. Neudefinition von Daseinsvorsorge im Grundgesetz
    Wasser ist keine beliebige Ressource – sondern die Grundlage für Ernährung, Frieden und innere Stabilität. Es braucht eine verfassungsrechtliche Klarstellung, dass der Staat in der Pflicht steht, Zugang und Versorgung langfristig zu sichern.

Ein Kontinent am Kipppunkt

Wer jetzt nicht handelt, verliert nicht nur Ernten, sondern Vertrauen. Vertrauen in Politik, Planung, Versorgung. Vertrauen in die Fähigkeit eines Staates, die Lebensgrundlagen seiner Bürger zu sichern – und nicht nur dessen Meinung zur Weltlage.

Ein Europa, das Milliarden in Panzer steckt, aber seine Bauern verdursten lässt, ist kein Friedensprojekt mehr – sondern ein bürokratischer Hohlkörper, glänzend lackiert, aber innerlich ausgedörrt.

Die Erde ruft nicht mehr – sie reißt. Und mit ihr reißen Gewissheiten, Versorgungsketten, soziale Bindekräfte. Die Geschichte wird fragen, was wir 2025 getan haben:
Ob wir den Moment erkannt haben, in dem sich Agrarpolitik in Sicherheitspolitik verwandelte. Ob wir noch wussten, wie man einen Brunnen baut – statt nur Strategiepapiere.

Es geht nicht um grüne Schlagzeilen. Es geht nicht um moralische Zertifikate. Es geht um Wasser. Um Boden. Um Nahrung. Und damit um Würde. Wer heute das Klima verwaltet, statt zu handeln, verwaltet den Zerfall.

Jetzt ist nicht die Zeit für neue Konzepte. Jetzt ist die Zeit für Leitungen, Speicher, Entscheidungen. Was wir säen, wird nicht nur die Felder betreffen. Sondern das Vertrauen ganzer Generationen.

Wasserkrise in Zahlen – und die europäische Lücke

  • 55 Mrd. Euro Agrarbudget: Über 70 % fließen in Direktzahlungen, unabhängig von Klimaresilienz.
  • Kein europäischer Wasserpakt: Keine grenzübergreifende Infrastruktur oder Koordination.
  • EU-Forschung: Horizon Europe, PRIMA, LIFE – viele Studien, kaum Umsetzung.
  • Israel: 85 % des Abwassers werden wiederverwendet.
  • Kalifornien: Über 8 Milliarden Dollar für Wasserinfrastruktur.
  • Spanien: Manche Stauseen unter 10 % Füllstand – Rationierungen in Andalusien.

Tagebaubecken, die keiner nutzt – ein Überblick

  • Lausitz: Milliarden Kubikmeter Wasser – aber keine agrarische Nutzung vorgesehen.
  • Technisch verfügbar, politisch blockiert: Keine Speichervernetzung, keine gesetzliche Einbindung.
  • Zuständigkeiten zersplittert: LMBV, Bundesländer, kein Bundesmandat.
  • Kein nationales Register: Niemand weiß, welche Speicherreserven wirklich abrufbar wären.
  • Vergleich: LNG-Terminals wurden in 10 Monaten gebaut – aber kein Meter Wasserleitung.
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