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Antimilitarismus heute

Vom Tabu zum Treueeid?

Clemence Moreau Siegel

✍️ Clemence Moreau

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Clémence Moreau schreibt gegen das Vergessen des Feinen. Sie ist Literaturwissenschaftlerin, Feuilletonistin und Verteidigerin der Ambivalenz – dort, wo Sprache noch riskant, Denken noch mehrdeutig und Schreiben noch keine PR war. In La Dernière Cartouche seziert sie die Verflachung des Diskurses, das Verschwinden der Ironie und die therapeutische Selbstaufgabe der Kulturseiten. Ihre Texte sind stille Monokulare auf eine Welt, die einst Sprache liebte – und sie heute fürchtet.

📂 Rubrik: Politik & Geschichte
🗓️ Veröffentlichung: 20. Mai 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

Friedenswille ist zu einem Misstrauenssignal geworden. Wer heute zögert, Waffen zu liefern oder den Begriff “Kriegsfähigkeit” infrage stellt, steht rasch im Verdacht, zu verharmlosen oder gar zu verraten. Doch diese Verschiebung im moralischen Koordinatensystem geschieht nicht aus Zufall. Sie ist die Folge einer historischen Umkehrung: Antimilitarismus ist nicht mehr Ausdruck politischer Wachsamkeit, sondern gilt als Anzeichen fehlender Loyalität.

Dabei war das Nein zum Krieg in Europa einst eine Grundhaltung. Nach den Schlägen zweier Weltkriege formte sich eine Erinnerungskultur, die Krieg als Scheitern verstand. Ossietzky schrieb nicht für den Applaus. Tucholsky warnte nicht, um recht zu behalten. Beide wussten, dass Pazifismus inmitten aufziehender Gewalt nicht feige, sondern klarsichtig ist. Heute wirkt dieses Erbe blass, entkernt, manchmal belächelt.

Der Diskurs hat sich verengt. Verteidigungspolitik ist keine Sache mehr des Arguments, sondern des Beifalls. Wo früher gefragt wurde, ob Krieg unvermeidlich sei, wird heute bejubelt, wer “wehrhaft” ist. Selbst in Schulen hält der neue Ton Einzug. Die Bundeswehr zeigt Präsenz in Klassenzimmern, Uniformen werden zu Lernobjekten. Und kaum jemand fragt noch, ob das, was hier vermittelt wird, mehr ist als ein neues Rollenbild.

Gleichzeitig wird Angst geschürt. Aufrüsten, heißt es, um Putin keine Zeit zu lassen. Die Begründung ist martialisch, fast rituell: Wer zögert, riskiert den Untergang. Doch während man die Bevölkerung auf einen “Verteidigungsfall” vorbereitet, bleibt eine andere Tatsache weitgehend unerwähnt: Russland führt seit drei Jahren einen Abnutzungskrieg, ohne klare militärische Landgewinne. Die Lage ist ernst, aber nicht neu. Die Rhetorik überholt die Realität.

Hinzu kommt eine wirtschaftliche Schieflage. Während die Automobilindustrie unter den Folgen der Klimapolitik leidet, entdeckt man in der Rüstung einen neuen Wachstumsmotor. Manager sprechen von “Transformation” und “Resilienz”. Gemeint ist: Wir rüsten auf, weil wir in anderen Branchen abbauen. Der Umbau der Industrie folgt keiner ethischen Prämisse, sondern einer strategischen Ertragslogik.

In der Öffentlichkeit zeigt sich die Asymmetrie besonders deutlich. Es gibt Demonstrationen für Israel, für Minderheitenrechte, für Klimaschutz. Aber wo sind die Stimmen, die sich gegen Aufrüstung richten? Gegen die Militarisierung des Denkens? Gegen die Normalisierung der Gewalt als politische Lösung? Friedensdemos sind selten geworden, fast schon verdächtig. Wer Nein sagt, muss erklären, warum er nicht dafür ist. Als müsse man sich entschuldigen, wenn man keine Waffen will.

Und doch bleibt das Nein notwendig. Nicht absolut, nicht naiv, nicht bequem. Sondern als Erinnerung daran, dass das Erste, was im Krieg stirbt, nicht die Wahrheit ist, sondern das Vertrauen in andere Wege. Die Geschichte kennt viele Formen des Mutes. Der Antimilitarismus war eine davon. Er bleibt es, solange sich noch jemand traut, ihn auszusprechen.

Ein Nein ist keine Kapitulation. Es ist ein Anfang.

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