Die stille Erpressung
Eine demokratische Zwangslage in Bayern
„Ich hätte mich verweigern können, ja. Aber dann hätte mich Söder entlassen und mit der SPD abgestimmt. Ich wäre ein toter Held gewesen.“
– ein Satz, beiläufig gesprochen, fast wie ein Nebensatz. Doch gerade solche Sätze sind es, die mehr über den Zustand einer Demokratie verraten als ganze Regierungserklärungen. Hubert Aiwanger, stellvertretender Ministerpräsident Bayerns, Chef der Freien Wähler, sagte ihn in einem Interview im März 2025 – und er meinte ihn ernst.
Was Aiwanger hier andeutet, ist mehr als ein persönliches Dilemma. Es ist das stille Eingeständnis eines strukturellen Machtgefälles, das in deutschen Koalitionsregierungen längst zum Alltag gehört, aber selten so offen ausgesprochen wird. Der Anlass war der Nachtragshaushalt – ein finanzpolitisches Projekt der Staatsregierung, das auch neue Schulden vorsieht. Aiwanger zögerte, Söder drängte, die SPD winkte aus dem Hintergrund – und plötzlich wurde aus einer politischen Debatte eine Machtfrage. Die Drohung, entlassen zu werden, stand nicht im Raum. Sie war der Raum. Nicht als juristisch greifbare Erpressung, aber als politische Realität: Entweder du stimmst zu – oder du gehst. Und mit dir deine Partei.
Dass Söder laut Aiwanger signalisierte, notfalls mit der SPD zu stimmen, macht die Dynamik deutlich. Es war ein Spiel mit der Koalition als Schachbrett – und Aiwanger war die Figur, die geopfert worden wäre, hätte sie nicht gezogen, wie es der König wollte. Dabei geht es nicht um Schuld. Nicht einmal um Feigheit. Es geht um das System. Denn Aiwanger inszeniert sich nicht als Opfer, und doch legt seine Aussage die Schwachstelle offen, an der kleinere Koalitionspartner regelmäßig scheitern: Sie besitzen keine Reservearmee. Kein Bundestagsmandat. Keine bundesweite Bühne. Ihre Macht ist an das Amt gebunden – und das Amt an den Willen des Ministerpräsidenten.
Die Zustimmung Aiwangers zum Schuldenbeschluss war kein politischer Wurf, sondern ein Akt der Selbsterhaltung. Kein Rückgratbruch, sondern ein Ausweichen unter Zwang. Das klingt dramatisch, aber es ist die nüchterne Bilanz einer Demokratie, in der politische Partnerschaften selten auf Augenhöhe funktionieren. Wo Vertrauen durch Taktik ersetzt wird, wird Gleichwertigkeit zur Illusion. Es ist keine Erpressung im strafrechtlichen Sinne – doch was ist es dann? Eine politische Erpressbarkeit, die sich aus Abhängigkeit ergibt. Ein struktureller Gehorsam, der wie eine Pflicht wirkt, aber keiner sein sollte.
Was bleibt von dieser Episode? Ein Interviewzitat, das bald aus dem Nachrichtenticker verschwindet. Ein Minister, der sich selbst die Luft nimmt, um weiter mitregieren zu dürfen. Und eine Öffentlichkeit, die vielleicht nicht merkt, wie sehr politische Entscheidungsfreiheit an scheinbare Stabilität verkauft wird. Die wahre Pointe liegt nicht in Aiwangers Entscheidung, sondern in der Normalität, mit der sie hingenommen wird.
Wenn demokratische Prozesse nur noch funktionieren, solange keiner sich verweigert, dann ist die Frage nicht mehr, wer regiert – sondern wie. Und mit welchem Preis für jene, die ohne Rückhalt, aber mit Haltung in die Regierung gehen.