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Macht und Maß

Wie Karlsruhe zwischen Klimajustiz und Koalitionspoker zerrieben wird

Clemence Moreau

✍️ Clemence Moreau

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📰 Medium: La Dernière Cartouche

Es beginnt leise. Wie so oft, wenn das Entscheidende geschieht.

Zwei Richterstellen am Bundesverfassungsgericht. Zwei Namen. Zwei Biografien. Und ein politischer Augenblick, der zeigt, wie schmal der Grat geworden ist zwischen Gewaltenteilung und Machtverschiebung. Man spricht von Verfahren, Eignung, Gremien. Aber was sich hier abzeichnet, reicht tiefer. Es geht nicht um Personal. Es geht um Prinzipien, die still verrutschen.

Frauke Brosius-Gersdorf, die erste Kandidatin, Staatsrechtlerin, von der SPD vorgeschlagen, fällt. Nicht über ein Plagiat. Nicht über ihre juristische Qualifikation. Sondern über eine Behauptung. Die Rede war von Abtreibung „bis zur Geburt“. Ein Zerrbild. Politisch nützlich, sachlich haltlos. Was blieb, war der Eindruck: Eine unabhängige Stimme wird zur Zielscheibe – nicht wegen fehlender Qualifikation, sondern weil sie nicht zur Dramaturgie passt.

Während sie öffentlich demontiert wurde, bereitete man im Stillen eine Alternative vor. Ann-Katrin Kaufhold. Jünger. Klarer positioniert. Klima-Jusitz, Enteignungskommission, Grundgesetz Artikel 20a – aber neu gelesen, neu gewichtet. Der Schutz der Umwelt als übergeordnetes Verfassungsziel. Auch das ist legitim. Doch wenn die dritte Gewalt zur strategischen Ressource wird, verschiebt sich der Boden unter der Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht war nie unpolitisch. Aber es war immer etwas mehr als ein Erfüllungsorgan. Es war Gewissen – nicht Werkzeug.

Der Tausch Brosius-Gersdorf gegen Kaufhold ist kein Verwaltungsakt. Er ist ein Signal. Man hört es in Fraktionssitzungen, in parteiinternen Planspielen, in der Art, wie Stille organisiert wird. Die SPD pokert. Vielleicht sogar mit dem Gedanken, das bestehende Koalitionsgefüge zu sprengen – nicht durch Wahlen, sondern durch Kalkül. Die Richterwahl als Testfeld für neue Mehrheiten. Kein Skandal, sondern eine Strategie.

Doch genau hier liegt das Problem. Wenn Legitimität zur Verhandlungssache wird, verliert das Gericht, was es stark machte: Vertrauen. Vertrauen, das sich nicht in Mandaten misst, sondern in Distanz. Karlsruhe war ein Ort, der sprach, wenn andere schwiegen – und schwieg, wenn andere schrien. Wenn es jetzt selbst zur Bühne wird, verliert es diesen Raum. Und mit ihm verliert die Republik ein Stück Gleichgewicht.

Man kann das alles für politisches Alltagsgeschäft halten. Für das, was eben dazugehört in Zeiten des Umbruchs. Doch wer so denkt, hat nicht verstanden, was auf dem Spiel steht. Es geht nicht um Brosius-Gersdorf. Es geht nicht um Kaufhold. Es geht darum, ob das Recht noch ein Ort sein darf, an dem nicht schon das nächste Kalkül lauert. Ob es Räume gibt, die nicht strategisch optimiert, sondern in ihrer Unabhängigkeit verteidigt werden.

Ich glaube, es gibt sie noch.

Aber man muss sie schützen. Gegen den Eifer der Lager. Gegen den Beifall der eigenen Reihen. Und gegen das bequeme Schweigen jener, die es besser wissen müssten.

Denn manchmal beginnt der Bruch nicht mit einem Knall. Sondern mit einem Namen, der nicht gewählt wird.

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