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Ein Gott, der schreibt

Jean d’Ormesson und das Erbe des eleganten Denkens

Alain Rakotomalala Siegel

✍️ Alain Rakotomalala

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Alain Rakotomalala stammt von der Insel La Réunion und bringt in seine Texte das ein, was europäischen Redaktionen oft fehlt: Perspektive. Er schreibt für La Dernière Cartouche über Kolonialgeschichte, Erinnerungskultur, kulturelle Verschiebungen und die Folgen einer Weltordnung, die sich selbst nie hinterfragt hat. Rakotomalala studierte Geschichte in Aix-en-Provence und Dakar, war Dozent in Port Louis und Genf, und lebt heute zwischen Saint-Denis (Réunion) und Marseille. Seine Sprache ist leise, aber unerbittlich. Er schreibt nicht, um zu gefallen – sondern, um aufzuzeigen.

📂 Rubrik: Kunst & Kultur
🗓️ Veröffentlichung: 23. April 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche

Er schrieb, wie man ein Lächeln andeutet. Als würden sich die Worte – fügsam und freundlich – von selbst an ihren Platz setzen, mit einer ganz natürlichen Anmut. Jean d’Ormesson, eine Leitfigur des im Verschwinden begriffenen französischen Geistes, verband unablässig Leichtigkeit mit Tiefe, Gelehrsamkeit mit Ironie.

Bei ihm war Literatur weniger ein Ziel als ein fortwährendes Wunder – ein göttliches Spiel, in dem man so tut, als wisse man die Regeln nicht, um sie umso genüsslicher zu befolgen.

„Wenn es Gott gibt, dann ist er ein Schriftsteller“, sagte er oft. Und wenn es einen solchen Gott gibt, dann ist es vielleicht d’Ormesson selbst – oder zumindest ein getreuer Schreiber eines höheren Prinzips: dem der Schönheit des Denkens, der Noblesse der Form, der Höflichkeit des Herzens.

In einer Zeit, in der der Satz zerfasert, das Auslassungszeichen zum Argument wird und der Lärm das Wort verdrängt, erscheint Jean d’Ormessons Sprache wie eine Eleganz des Widerstands – eine Spitze aus Gedanken gegen die Krallen des Getöses.

Er klagte nicht an – er enthüllte. Er empörte sich nicht – er staunte. Er hechelte der Aktualität nicht hinterher – sie war es, die ihm am Ende recht gab.

Man warf ihm manchmal Leichtigkeit vor. Er machte daraus eine Stärke. Denn bei ihm war die Leichtigkeit nie leer: Sie trug eine Erinnerung in sich, eine Treue zu jenem Frankreich Pascals und Chateaubriands, eine Art zu schreiben, wie man ein Erbe ehrt.

Sein Werk – zwischen Roman und Bekenntnis, zwischen sonntäglicher Philosophie und lichter Metaphysik – bleibt eine Einladung, noch an die Schönheit zu glauben. Nicht an die der Pose, sondern an die des Blicks. Nicht an die des Ichs, sondern an die der Welt.

Kann man Gott beschreiben, ohne zu predigen?

Kann man denken, ohne zu belehren – und schreiben, ohne zu flüchten?
Jean d’Ormesson, der aristokratische Romancier und Philosoph wider Willen, wagte genau das.
Er sprach mit Gott in Prosa, mit der Geschichte im Ton eines Vertrauten, und mit Frankreich wie ein Sohn, der weiß, dass auch Väter Fehler haben.
In einer Epoche, die den Stil verdächtigt und das Zweifeln beschleunigt hat, war d’Ormesson eine Erinnerung: an das Denken als Kunstform.
An das Schreiben als Weltbeziehung. An Europa als Idee – nicht als Markt. Was bleibt von einem, der nie laut war, aber nie belanglos? Dieser Essay blickt auf Jean d’Ormesson – als Figur, als Denkform, als letzter Repräsentant einer Welt, die sich lieber selbst befragt als behauptet

Ein Essay von Alain Rakotomalala, Gastautor bei La Dernière Cartouche

Es gibt Menschen, deren bloße Gegenwart einen Raum verändert – durch Dichte, nicht durch Lautstärke. Jean d’Ormesson war einer von ihnen. Er trat auf mit diesem hellen, fast spitzbübischen Blick, der an den Glanz alter Spiegel erinnerte. Kein Zeichen von Eitelkeit, sondern Ausdruck seiner Gewissheit: Stil ist kein Luxus, sondern eine Form, die Welt zu deuten.

Sein Gestus war der eines Menschen, der in der Sprache lebte. Er schrieb nicht bloß, er sprach wie andere beten – weniger, um zu überzeugen, vielmehr, um sich zu vergewissern, dass die Welt Bedeutung trägt.

Er war ein Mann der alten Welt, ja – aber keiner, der ihr blind folgte. Den Staub der Jahrhunderte verwandelte er in Gold, durch Literatur, nicht durch Nostalgie.

Und er sprach mit Gott – nicht aus Gehorsam, sondern im Modus des Dialogs: als fragender Freund, nicht als Gläubiger im dogmatischen Sinn.

Geboren 1925 in Paris, hineingeboren in einen Adel, der von Europa träumte und vom 19. Jahrhundert zehrte, wuchs d’Ormesson mit dem Gefühl auf, dass Herkunft verpflichtet. Seine Kindheit führte ihn nach Bayern, nach Venedig – Orte, in denen Geschichte keine Kulisse ist, sondern Fundament.

Seine erste Sprache war Deutsch. Das Französische kam später und wurde dennoch sein vertrautestes Instrument. Die Philosophie, die er an der École normale supérieure studierte, formte keinen starren Rahmen, sondern prägte seinen Denkstil. Er bewegte sich in Rhythmen, dachte in Bildern, lebte in Metaphern.

Sein Leben, oft erzählt wie ein Pariser Mythos – Direktor der UNESCO, Herausgeber des Figaro, jüngstes Mitglied der Académie française – erschöpfte sich nie im Amt. Er verstand sich als Mittler. Diplomatie ohne Kultur bleibt Taktik. Und ein Volk ohne Sprache verliert mehr als Worte – es verliert sein Zuhause.

Jean d’Ormesson war derjenige, der erstmals eine Frau in die Académie française holte: Hélène Carrère d’Encausse, Historikerin russischer Herkunft, brillanter Geist, später Secrétaire perpétuel. Keine symbolische Geste, kein Schielen auf Beifall. Er handelte aus Überzeugung.

Denn d’Ormesson wusste: Die Ewigkeit, auf die sich die Académie so gern beruft, bleibt hohl, wenn sie nicht auf Gerechtigkeit gründet. Und er erkannte: Tradition muss nicht gebrochen werden, um sich zu öffnen. Es genügt, sie ernst zu nehmen – und mutig anzuwenden.

Seine Romane tragen große Titel. Kein Zeichen von Eitelkeit – sie stellen große Fragen: La Gloire de l’Empire, ein fiktives Weltreich, das mehr über den Geist Europas sagt als viele Leitartikel. Dieu, sa vie, son œuvre – halb Parodie, halb Bekenntnis, ganz Philosophie in Erzählform. C’est une chose étrange à la fin que le monde – ein Satz, der schon nach Literatur klingt.

Diese Bücher kreisen um Zeit, um Liebe, um Wissen – und um das Verschwinden. Und immer wieder: um Gott. Doch nicht als Richterfigur, sondern als Adresse für Zweifel. D’Ormesson sprach von Gott, wie andere vom Unmöglichen sprechen: nicht um es zu beweisen, sondern weil es sich weigert, still zu verschwinden.

Seine Prosa wich den Abgründen nicht aus – sie reichte ihnen die Hand. Schreiben wurde ihm zur schöpferischen Geste, zur Annäherung ans Göttliche. Kein Hochmut, sondern Hingabe. Literatur war für ihn keine Flucht – sondern Rückkehr. Zur Sprache. Zur Welt. Zum möglichen Sinn.

In Deutschland wurde Jean d’Ormesson weniger durch Theoriedebatten bekannt als durch eine Geschichte – leise, komplex, menschlich. Wie es Gott gefällt erzählt von Herkunft und Auflösung, vom Erbe des Adels, von Glaube und Zweifel in einer Welt im Wandel. Kein Manifest, kein Lehrstück – sondern eine Erzählung über die Fragilität des Bleibenden.

1981 verfilmte der Bayerische Rundfunk den Stoff – Regie: Robert Mazoyer. Ein französischer Roman, übertragen ins deutsche Fernsehformat. Was leicht in Kitsch oder Pathos hätte abgleiten können, wurde zu etwas Seltenem: einem stillen Moment der Verständigung.

Will Quadflieg, Christine Ostermayer, Dieter Kirchlechner, Ruth Drexel – sie spielten keine Rollen, sie schufen Atmosphäre. Die Serie war kein mediales Ereignis. Aber sie blieb.

Sie erreichte weniger Breite – dafür mehr Tiefe. Und genau darin lag ihre Bedeutung: Sie zeigte, dass Verständigung nicht aus Lautstärke entsteht, sondern aus Präzision. Dass ein französischer Adeliger aus Papier mehr Verbindung stiften kann als hundert politische Gipfel.

Als Jean d’Ormesson 2017 starb, war es absehbar. Und doch fehlte plötzlich etwas: ein Schriftsteller, ja – aber vor allem eine Stimme mit eigenem Ton. Leise. Zart. Klug.

In einer Zeit des schnellen Meinungswechsels wirkt d’Ormesson wie ein Fremdkörper. Vielleicht ist genau das seine Rolle im kollektiven Gedächtnis: nicht modern zu erscheinen, sondern unverzichtbar zu bleiben.

Denn wer mit Gott spricht, ohne zu predigen; wer Herkunft hat, ohne sie zur Abgrenzung zu nutzen; wer denkt, ohne zu dominieren; wer schreibt, um zu verbinden – der hinterlässt mehr als Bücher. Er hinterlässt eine Möglichkeit.

Erinnerung aus der Kindheit: Die deutsche Sprache als erste Heimat

Jean d’Ormesson verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Bayern – sein Vater war Diplomat, stationiert an verschiedenen Orten Europas. In Interviews sagte er später, dass Deutsch seine erste Sprache war, die Sprache, in der er dachte, träumte, las. Französisch kam hinzu – und wurde zur Sprache des Herzens, der Literatur, der Eleganz. Doch das frühe Deutsch blieb: als Echo, als Herkunft, als Zeichen einer Kindheit in der europäischen Weite vor der Katastrophe.

Editionsgeschichte:

Jean d’Ormesson veröffentlichte über vierzig Bücher, darunter Romane, Essays, autobiografische Texte. Viele erschienen bei Gallimard, einige bei Robert Laffont. Besonders bekannt sind:

  • La Gloire de l’Empire (1971, Grand Prix du roman de l’Académie française)
  • Dieu, sa vie, son œuvre (1981)
  • Presque rien sur presque tout (1996)
  • C’est une chose étrange à la fin que le monde (2010)
  • Un hosanna sans fin (2018, posthum)

Mehrere Werke wurden ins Deutsche übersetzt, etwa Wie es Gott gefällt (1981), das durch die Verfilmung besondere Bekanntheit erlangte

Rezeption

Ein stiller Stoff im falschen Jahrzehnt

Als der Bayerische Rundfunk 1981 Wie es Gott gefällt verfilmte, traf er nicht den Nerv der Zeit. Die Serie erschien in einer Ära des aufkommenden Privatfernsehens, der Actionformate und gesellschaftspolitischen Stoffe. D’Ormessons feines Porträt eines verschwindenden Milieus wirkte dagegen wie aus einer anderen Epoche – entschleunigt, leise, formal konservativ.

Die deutsche Fassung, getragen von Darstellern wie Will Quadflieg, Christine Ostermayer, Dieter Kirchlechner und Ruth Drexel, brachte dem französischen Roman eine melancholische Würde. Kein Event, kein Quotenhit – sondern ein Fernsehstück für die Ränder des Tages. Für Zuschauer, die sich auf Ton und Tempo eines Romans einlassen konnten, der nicht überzeugen wollte, sondern begleiten.

Heute gilt die Serie als Kuriosum: eine transkulturelle Adaption, sorgfältig und sensibel inszeniert. Keine Pflichtlektüre im Fernsehen der Erinnerung – aber ein Zeugnis dafür, dass Literatur manchmal doch den Weg ins Bild findet. Still, anspruchsvoll, unzeitgemäß. Und gerade deshalb: bleibend.

Jean d’Ormesson, Paris,  2018.

Zeichnung eines Charakters – d’Ormesson als Figur

Er war charmant, aber nie gefällig. Leicht, aber nie oberflächlich. Ironisch, aber nie kalt. In ihm lebte ein aristokratischer Stil, der sich nicht übertrug, aber wirkte – wie ein Parfum, das bleibt, auch wenn der Träger den Raum verlassen hat. Wer mit ihm sprach, spürte: Hier ist jemand, der nicht brillieren muss, um zu leuchten. Und der nie vorgab, mehr zu wissen – nur, dass er zu fragen verstand.

Dieser Text ist die Übersetzung des gesprochen Videos auf  Youtube .

„Wir waren eine alte Familie“ – Erinnerung an Herkunft und Haltung

„Ich wurde in eine Welt hineingeboren, die zurückblickte. Die Vergangenheit zählte mehr als die Zukunft. Mein Großvater war ein aufrechter, schöner alter Herr, der in der Erinnerung lebte. Seine Mutter hatte in den Tuilerien mit dem Herzog von Nemours getanzt, meine Großmutter in Compiègne mit dem kaiserlichen Prinzen.
Doch es war die Monarchie, an der meine Sippe – über Katastrophen, Barrikaden, belagerte Zitadellen hinweg – leidenschaftlich festhielt.

Es gab da eine Figur, die über allem schwebte: der König. Die Ältesten erzählten noch abends von ihm, wie von einem reinen, gütigen Herrn. Er hatte meinen Urgroßeltern einst ein paar belanglose Worte gesagt – wir wiederholten sie, als wären es Reliquien. Und manchmal erfanden wir neue.

Ich fragte mich früh, was es hieß, zu einer alten Familie zu gehören. Ob es Orte gebe, von Engeln bewacht, in die nur unsere Ahnen Zugang hatten. Aber nein – alle Familien waren gleich alt. Jeder hatte acht Urgroßeltern. Nur manche trugen Spuren.

So lernte ich, was wir dem Erinnern verdanken.“
– Jean d’Ormesson


📚 Anmerkungen zur Übersetzung (linguistisch-literarisch)

1. „Peut-on parler de Dieu sans prêcher ?“ → „Kann man Gott beschreiben, ohne zu predigen?“
Kommentar: „Parler“ wurde mit „beschreiben“ statt „sprechen“ übertragen – ein bewusster Stilgriff, der den literarischen Ton verstärkt, aber das Bedeutungsfeld erweitert.

2. „Peut-on penser sans faire la leçon — et écrire sans fuir ?“ → „Kann man denken, ohne zu belehren – und schreiben, ohne zu flüchten?“
Kommentar: „Fuir“ (fliehen) wurde als „flüchten“ übersetzt – mit starker Konnotation von Rückzug. Eine stilistisch kraftvolle, leicht interpretative Lösung.

3. „Il était charmant, jamais complaisant.“ → „Er war charmant, aber nie gefällig.“
Kommentar: Sehr nahe an der Wortbedeutung. Die rhythmische Gegenüberstellung wurde bewahrt – klassisch elegant.

4. „Il transformait la poussière des siècles en or — par la littérature, non par nostalgie.“ → „Den Staub der Jahrhunderte verwandelte er in Gold, durch Literatur, nicht durch Nostalgie.“
Kommentar: Poetisch nahezu deckungsgleich – mit syntaktischer Umstellung zugunsten des deutschen Sprachflusses.

5. „Écrire, pour lui, relevait d’un geste créateur…“ → „Schreiben wurde ihm zur schöpferischen Geste…“
Kommentar: Inhaltlich kongruent. Der französische Ausdruck bleibt erhalten, die Umstellung dient der Betonung im Deutschen.

6. „Il s’est adressé à Dieu en prose, à l’Histoire sur le ton d’un confident…“ → „Er sprach mit Gott in Prosa, mit der Geschichte im Ton eines Vertrauten…“
Kommentar: Der Ausdruck „confident“ ist adäquat als „Vertrauter“ übersetzt – semantisch und stilistisch stimmig.

7. „À une époque qui soupçonne le style…“ → „In einer Epoche, die den Stil verdächtigt…“
Kommentar: „Soupçonner“ zu „verdächtigen“ überträgt das Misstrauen sehr direkt. Der deutsche Satz wirkt dramatischer durch den Einschub „die das Zweifeln beschleunigt hat“.

8. „Il apparaissait avec ce regard clair, presque espiègle…“ → „Er trat auf mit diesem hellen, fast spitzbübischen Blick…“
Kommentar: „Espiègle“ mit „spitzbübisch“ ist interpretativ – bringt aber den Tonfall gut ins Deutsche.

9. „L’allemand fut sa première langue…“ → „Seine erste Sprache war Deutsch…“
Kommentar: Struktur und Inhalt direkt übernommen – kein nennenswerter Unterschied.

10. „Il se considérait comme un médiateur…“ → „Er verstand sich als Mittler…“
Kommentar: Wortwörtlich präzise – rhythmisch angepasst.

11. „Ce n’était ni un geste symbolique…“ → „Keine symbolische Geste, kein Schielen auf Beifall…“
Kommentar: Die deutsche Formulierung ist pointierter. „Schielen“ bringt eine kritische Note hinein, die im Original nur angedeutet ist.

12. „Il laissait une empreinte — comme un parfum qui reste…“ → „…aber wirkte – wie ein Parfum, das bleibt, auch wenn der Träger den Raum verlassen hat.“
Kommentar: Bild poetisch fast deckungsgleich – die Erweiterung im Deutschen gibt der Metapher mehr Tiefe und Emotionalität.


🎨 Bildsprache & Metaphern (vergleichend kommentiert)

1. „…comme un parfum qui reste…“ → „…wie ein Parfum, das bleibt, auch wenn der Träger den Raum verlassen hat.“
Kommentar: Die Metapher wurde nicht nur übernommen, sondern poetisch erweitert. Der Zusatz „auch wenn…“ konkretisiert das französische Bild und steigert dessen Emotionalität.

2. „Il transformait la poussière des siècles en or“ → „Den Staub der Jahrhunderte verwandelte er in Gold“
Kommentar: Bild und Rhythmus wurden 1:1 erhalten. Das Gleichnis erinnert an die Alchemie – und bleibt sowohl im Ton als auch in der Intention unverändert.

3. „Il apparaissait avec ce regard… évoquant la lueur des vieux miroirs“ → „…mit diesem Blick, der an den Glanz alter Spiegel erinnerte“
Kommentar: Die Lichtmetapher wurde übertragen, aber leicht entschärft. „Glanz“ ist vertrauter als „lueur“, wirkt weniger unheimlich, eher nostalgisch.

4. „Un monde où l’histoire n’est pas décor, mais structure“ → „…Orte, in denen Geschichte keine Kulisse ist, sondern Fundament“
Kommentar: Der Bedeutungsgegensatz (Dekor vs. Struktur) wurde im Deutschen konkretisiert – „Fundament“ ist architektonisch und emotional greifbarer als „Struktur“.

5. „…comme un fils qui sait que les pères aussi commettent des erreurs“ → „…wie ein Sohn, der weiß, dass auch Väter Fehler haben“
Kommentar: Das Bild wird entschärft: „Fehler haben“ klingt milder als „Fehler begehen“. Der deutsche Ton ist sanfter, aber inhaltlich gleichwertig.

6. „Une pièce télévisée pour les marges du jour“ → „…ein Fernsehstück für die Ränder des Tages“
Kommentar: Sehr gelungene Metaphernübertragung. „Ränder des Tages“ erhält den poetischen Charakter der Originalformulierung – subtil und genau.


🔧 Strukturelle Dynamiken (Syntax & Rhythmus)

1. „Penser comme un art. Écrire comme une relation au monde.“
→ „An das Denken als Kunstform. An das Schreiben als Weltbeziehung.“
Kommentar: Das Französische nutzt Ellipsen und rhythmische Reihung. Im Deutschen wurde mit „An das…“ bewusst eine syntaktische Brechung eingesetzt – pointierter, aber auch artifizieller.

2. „Il parlait comme d’autres prient…“
→ „Er sprach wie andere beten…“
Kommentar: Der Satz bleibt nahe am Original, doch das Deutsche schneidet das Tempogefühl schneller. Französische Schwebe vs. deutscher Satzschluss.

3. „Un monde où l’histoire n’est pas décor, mais structure“
→ „Orte, in denen Geschichte keine Kulisse ist, sondern Fundament“
Kommentar: Das Französische argumentiert abstrakt; das Deutsche macht es plastischer. „Fundament“ statt „Struktur“ erzeugt eine greifbare, räumliche Vorstellung.

4. Listenhafte Serien: „Charmant, jamais complaisant. Léger, jamais superficiel.“
→ „Charmant, aber nie gefällig. Leicht, aber nie oberflächlich.“
Kommentar: Der Stil der knappen Antithesen wird beibehalten. Der deutsche Rhythmus ist minimal härter, durch den Einsatz von „aber“ statt „nie“ am Satzbeginn.


🏛️ Kulturelle Referenzen (kontextuell und symbolisch)

1. Académie française
Kommentar: Der Begriff bleibt in der Übersetzung französisch, braucht aber Erklärung. In Frankreich ein fast mythisches Gremium – in Deutschland unbekannter und bürokratischer konnotiert.

2. Secrétaire perpétuel
Kommentar: Die deutsche Übersetzung „ständige Sekretärin“ verliert den Prestige-Charakter. Im Französischen ein Ehrenamt mit Tradition, im Deutschen wirkt es funktional.
Der Begriff perpétuel stammt vom lateinischen perpetuus („ununterbrochen“, „dauerhaft“) – verwandt mit perpetuum mobile. Er verleiht dem Amt eine Aura des Fortwirkens, über das Funktionale hinaus.

3. La douceur de vivre
Kommentar: Diese kulturgeschichtlich aufgeladene Formel lässt sich kaum direkt übertragen. Die gewählte deutsche Umschreibung als „Sanftheit des Lebens“ ist poetisch, aber semantisch reduziert.

4. UNESCO
Kommentar: D’Ormessons Rolle als UNESCO-Direktor hat in Frankreich kulturelles Gewicht – als Zeichen von Elitebildung. In Deutschland ist die Organisation weniger identitätsstiftend präsent.

5. Le roi, figure silencieuse
Kommentar: Die symbolische Rolle des Königs in der französischen Monarchiegeschichte ist tief verwurzelt – in der deutschen Fassung bleibt die mystisch-metaphysische Aufladung erhalten, aber wird nicht weiter erläutert.

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