Über die Empörung des Boris Reitschuster.
Und die Pflicht, zwischen Meinung und Prinzip zu unterscheiden.
“Sie drucken Lenin auf Poster, glorifizieren linke Militanz und hetzen gegen das System – und bekommen dafür 18.000 Euro vom Kanzleramt. Dort werden nun auch Verlage prämiert, die linksradikale Propaganda verbreiten. Unter Führung der CDU. Und niemand regt sich auf. Willkommen in der neuen Doppelmoral deutscher Kulturpolitik.” (Boris Reitschuster auf seinem Blog)
Boris Reitschuster: “Kanzleramt ehrt Lenin-Verlag – mit 18.000 Euro Steuergeld/Preisgeld für linke Propaganda: Mehrere linksradikale Verlage ausgezeichnet”
Im Mittelpunkt des Beitrags steht die Kritik des Journalisten Boris Reitschuster an der diesjährigen Vergabe des Deutschen Verlagspreises. Nach seinen Recherchen erhielt der Berliner Manifest Verlag, der offen marxistische und revolutionäre Literatur vertreibt und unter anderem Lenin- und Trotzki-Poster anbietet, 18 000 Euro Preisgeld, finanziert aus Bundesmitteln. Auch weitere politisch linke oder systemkritische Verlage – darunter Unrast Verlag und Edition Nautilus – seien ausgezeichnet worden.
Reitschuster argumentiert, dass damit offen ideologische und antidemokratische Positionen durch Steuergeld legitimiert würden. Er zieht historische Vergleiche zu totalitären Symbolfiguren wie Stalin, Mao oder Hitler und wirft der Bundesregierung, insbesondere dem CDU-geführten Kanzleramt und Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, Doppelmoral vor: rechte Tendenzen würden geächtet, linke Radikalität dagegen ästhetisiert und sogar prämiert.
Der Artikel schließt mit einer grundsätzlichen Anklage gegen die deutsche Kulturpolitik, die Reitschuster als „Travestie der Erinnerungskultur“ bezeichnet: ein Staat, der Lenin-Symbole fördert, habe aus dem 20. Jahrhundert nichts gelernt.
Der Skandal liegt nicht in der Auszeichnung, sondern in der Reaktion darauf.
Boris Reitschuster empört sich, das Bundeskanzleramt habe einen Verlag geehrt, der Lenin-Poster verkauft. 18 000 Euro Steuergeld für marxistische Ästhetik, lautet der Vorwurf. Doch die Fakten sehen anders aus. Die Vergabe des Deutschen Verlagspreises erfolgt durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien – nicht durch die CDU, nicht durch den Kanzler und schon gar nicht durch eine politische Zentrale. *
Die Entscheidung trifft eine unabhängige Jury, die nach literarischen, nicht ideologischen Kriterien arbeitet. Der Preis richtet sich an kleine und unabhängige Verlage, deren wirtschaftliche Basis schwach, deren kultureller Beitrag aber erkennbar ist. Dass darunter auch linke Stimmen sind, ist kein Fehler des Systems, sondern sein Beweis: Vielfalt bedeutet, dass auch jene gehört werden, die man nicht mag.
Die Empörung über „Lenin auf Postern“ verrät eine Sehnsucht nach kultureller Homogenität. Reitschuster übersieht, dass Kulturförderung in einer Demokratie gerade nicht danach fragt, ob die Inhalte einem bestimmten politischen Lager gefallen. Der Verlag, den er angreift, arbeitet seit Jahren in einem klar linken, aber legalen Spektrum. Seine Texte sind radikal, nicht staatsfeindlich. Wer das verwechselt, verkennt den Sinn der Freiheit, die er zu verteidigen vorgibt.
Die Doppelmoral liegt nicht bei der Kulturpolitik, sondern bei ihren Kritikern. Wenn konservative Stiftungen Literatur fördern, die dem eigenen Weltbild entspricht, wird das als bürgerliches Engagement gefeiert. Wenn ein linker Verlag einen Preis erhält, gilt es als Unterwanderung des Staates. Diese Asymmetrie ist das eigentliche Problem.
Man kann über die Auswahl streiten, über die Jury, über den Begriff „Vielfalt“. Aber wer aus einer Preisvergabe eine ideologische Verschwörung konstruiert, zeigt nicht Liebe zur Wahrheit, sondern Furcht vor Pluralität.
Die Demokratie hält sich nicht durch Zustimmung, sondern durch Zumutung. Sie muss auch das aushalten, was ihr widerspricht – sonst ist sie keine.
(*Ausgerichtet wurde das Ganze vom Staatsminister für Kultur – angesiedelt im Kanzleramt.)
Kulturförderung, Pluralität und historische Blindstellen
Zum Streit um den Deutschen Verlagspreis 2025 und die Auszeichnung linker Kleinverlage

Die historische Einordnung ist unmissverständlich. Lenin war kein Demokrat, sondern Architekt eines totalitären Systems mit Gewalt, Zensur und Einparteienherrschaft. Wer Lenin ästhetisiert, riskiert moralische Blindstellen. Diese Feststellung ist nicht kleinlich. Sie gehört in jede aufgeklärte Erinnerungskultur.
Was folgt daraus kulturpolitisch? Eine Demokratie darf keine Gesinnungspflege betreiben. Sie muss legale, auch unbequeme Stimmen aushalten. Maßstab ist nicht die politische Sympathie, sondern die Grenze zum Strafrecht und zur Gewaltapologie. Solange diese Grenze nicht überschritten wird, fällt die Förderung unter das Prinzip der Pluralität. Wer Förderung nur für Nahestehende gelten lässt, verabschiedet sich aus dem liberalen Rahmen.
Die gegenwärtige Aufregung zeigt vor allem eine Asymmetrie. Wenn konservative Stiftungen ihnen genehme Literatur fördern, heißt das bürgerliches Engagement. Wenn ein linker Kleinverlag ein staatliches Gütesiegel erhält, heißt es Ideologie. Diese doppelte Buchführung beschädigt die Glaubwürdigkeit beider Seiten. Wer Vielfalt will, muss sie auch aushalten, wenn sie dem eigenen Lager missfällt.
Die richtige Kritik zielt anders. Erstens auf Transparenz der Jurykriterien. Zweitens auf die Pflicht zur historischen Urteilskraft. Drittens auf die klare Markierung totalitärer Symbolik, damit Erinnerung nicht in Pose umschlägt. Förderung darf nie moralische Komplizenschaft werden. Aber sie darf auch nicht zur politischen Zensur schrumpfen.
Was folgt daraus?. Pluralität ist eine Zumutung. Genau deshalb ist sie demokratisch. Kulturpolitik verliert ihre Mitte, wenn sie Geschichte ästhetisiert. Sie verliert ebenso ihre Mitte, wenn sie Pluralität per Verdacht kassiert. Die Lösung ist nicht Empörung, sondern nüchterne Standards, offene Begründungen und eine Erinnerungskultur, die Namen wie Lenin beim Namen nennt.
Quellen
- Bundesregierung. Preisträger des Deutschen Verlagspreises 2025 stehen fest. 29. September 2025. bundesregierung.de
- Deutscher Verlagspreis. Preisträger 2025. Vollständige Liste der ausgezeichneten Verlage. deutscher-verlagspreis.de
- Deutscher Verlagspreis. Teilnahmebedingungen und Verfahrensregeln. Unabhängige Jury und Kriterien. PDF. deutscher-verlagspreis.de
- Börsenblatt. Das sind die Preisträger des Deutschen Verlagspreises 2025. 29. September 2025. boersenblatt.net
- Reitschuster. Kanzleramt ehrt Lenin Verlag mit 18.000 Euro Steuergeld. 5. Oktober 2025. reitschuster.de
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