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Vom Wunder des Graoully – wie Bruder Hieronymus schrieb
Die Chronik des Drachen von Metz
Prologus seu Praefatio in Miraculum de Graoully
geschriben durch Frater Hieronymum Asparagum, benedictiner zu S. Arnulphi Mettensis, im jar domini MDXXX
Im namen des herren, der das chaos bändiget und das liecht in die tieffen sendet, schreib ich dis, auf daß nit verloren gehe, was die alten gewußt und mit ihrem mund den kindern verkündet haben.
Dann vil geschichten, so von vordern erzählt sind, sint nun verfinstert worden durch spot und unglawb, und es ziemt sich, daß einer sie behalte, ehe der wind der newen zeit sie verwehe.
Ich, Hieronymus Asparagus, der geringst unter den dienern in diesem hause des heyligen Arnulfus, bin vom abt geboten worden, die wunder und geschehnus zu verzeichnen, die sich in alten zeiten zu Metz begeben haben, da das liecht des Evangelii das erst mal über diese statt gegangen ist.
Und unter denselben ist kein bericht so wunderbar noch so heilsam als der von dem erschröcklichen drachen Graoully, welchen der selig Bischof Clemens, der erste hirt dieser statt, durch das zeichen des creutzes gezähmet und bezwungen hatt.
Darumb merk, wer dies lieset: das wunder ist nit allein leiblich, sunder auch geistlich geschehn.
Dann der drach war das bilde der alten furcht, die das menschlich hertz umbfasset, bis das wort des herren sie löset und friede bringet.
De fontibus huius narrationis
geschriben durch Frater Hieronymum Asperagum, benedictiner zu S. Arnulphi Mettensis, im jar domini MDXXX
Diese histori hab ich zusamen getragen aus drey quellen:
erstlich aus einer alten Vita Sancti Clementis, die in unser bibliothec ruhet, geschriben auf pergamen, mit rothen initialen und teylweis vermorschten rändern;
zum andern aus den volckhaften reden, die die burger noch in unsern tagen an hohen festtagen zu erzählen pflegen;
und drittens aus den schrifften des erbern Philippe de Vigneulles, burger zu Metz, der in seinen chroniques vil behalten hatt, was sonst verloren gieng.
Doch dieweil die art der leute flüchtig ist und das gedechtnus leicht vergehet, wil ich nit allein melden, was geschehn sey, sunder auch warumb es geschehn ist:
auff daß die finsternuß der heiden weiche und das hertz des menschen erkenne, wie groß die macht des creutzes ist, selbst wider das unthier.
Also hab ich vor, dis geschicht zu schreib in drey büchlein:
im ersten von dem zustandt der statt vor der bekehrung;
im andern von dem erschein des drachen und seiner macht über die menschen;
im dritten von dem heyligen Clemens, seinem gebet, seinem wunder und der befreyung der statt.
Und das geschicht nit aus neugier, sunder zu ehren gottes und zum trost der frommen,
auff daß die nachkommenden wissn, daß der glawb nit eyn leer wort ist, sunder kraft, die himel und erden beweget.
Und wann einer künftighin, der dis lieset, lächeln würd über den drachen und sprechen: „das sind märlein alter zeit“,
so gedenck er doch, daß ein jeglich wunder, ob im fleisch oder im geist, ein gleichnuß ist.
Dann der drach ist nit allein ein thier, sunder das bilde des stolz und der furcht;
und Sanctus Clemens, der ihn führet, ist das zeichen des gehorsams, dadurch der mensch sich selber zähmet.
Darumb schreib ich, wie ich glawb, und glawb, was ich schreib.
Der herr verzeih mir, so meine feder zu irdisch wird,
und geb mir gnade, daß ich nit allein die wort, sunder auch den geist der warheit überliefre.
Ad maiorem Dei gloriam.
Liber Primus
Von dem Zustand der Statt Metz, ehe das Liecht des wahren glaubens über sie kam.
geschriben von Frater Hieronymus Asparagus, benedictiner zu S. Arnulphi Mettensis, im jar domini MDXXX.
In disem jar, da man noch nit wußte von dem heyligen creutz, was kraft und trost es in sich trüge, was die Statt Metz alt und berühmt under allen stetten in Gallien. Sie ist gelegen zwischen hügeln und wassern, und die Mosel gehet mitten hindurch, also daß sie das land tränket und doch scheidet.
Do die Cäsaren noch herrscheten, bauten sie hie vil grosse werck, thor, mauren und tempel. Und die leüt dieneten den göttern des heidenschafts, dem Mercurius, dem Mars und der Venus. Sie opfereten wein und thier und zierten die bilder aus ertz mit blumen. Aber inwendig in ihren hertzen lag grosse furcht, dann sie meineten, es sassen in den nebeln der flüsse und in der erden tieffen finstere geister, die nach opfern dürsteten.
Im osten der statt, da die wiesen hinabgehen gen Mosel, ward von den alten Römern gebauet eyn grosse Arena, darin sie vormals ihre kampf und spiele hielten. Als aber das reich verfiel und die heidnischen sachen zunichte wurden, stund die Arena wüst und ward ein ort des grauens. Gras und dorn wuchsen darinnen, und in den steinernen bogen nisteten fledermäus, schlangen und allerley gewürm.
Und geschach also, daß eines nachts ein unthier darinnen erschein, groß wie eyn thurn, mit schuppen gleich erz und augen glühend wie eisen im offen. Sein athem war giftig, und wo er durch strich, da verdarb das vieh. Die kinder fielen darnieder in krankheit, und die leüt erschracken seer.
Da sprachen die priester der alten götzen: „Die götterr haben zorn, dieweil wir ihre altär verlassen haben.“ Also richteten sie von newem opfersteine auf, schlachteten lämmer und kälber, und man saget, sie gaben auch menschen dar, auff daß das unthier schweige. Doch es ward nit still.
Des nachts kam der Graoully, wie das volck ihn nennet, herauff aus der Arena, schlich durch die gassen, und wer sein fauchen hörete, der ward irr im gemüte. Man sagt, sein hauch sey so böse gewesen, daß das eisen an den thoren rostete, da er darüber hin blies.
Vil flohen in die hügel von Gorze und Scy, andere bauten altär an den ufern, das unthier zu beschwören. Doch keiner waget ihm zu nahen. Also verfiel Metz, die stolze statt, in angst und finsternuß, und niemand wuste trost noch rettung.
Die alten priester sprachen: „Dies ist der geist der tieffen, der über uns wacht.“ Doch die weisen dachten inwendig: „Nit der geist hütet uns, sunder die furcht bindet uns.“
Also vergingen vil jar in sorgen und schatten, biß der Herr erweckte einen mann, sanfft von antlitz und fest im glauben, welcher Clemens hieß. Er kam von ferne, trug kein schwert, sunder ein creutz aus holtz, und redete das wort des lebens also freundlich, daß die leüt horchten, obgleich sie nit glaubeten.
Was sich darnach begab, da Clemens dem unthier begegnet, das will ich schreiben im andern buch, so der Herr mir gnad gibt, die feder nit zu müde zu führen.
Liber Secundus
Wie der heylig Clemens das volck zu Metz zum glawben rüeffte und den Graoully bezwang.
Und also, wie oben geschrieben stehet, kam in jenen tagen der Clemens, diener Christi, in die statt Metz, da das volck in grosser noth und furcht stund. Er war ein mann von edler sippe zu Rom geboren, doch dem pracht der welt entsaget und der armuot sich ergeben. Schon war er durch die thor kommen und hatte den leüt trost gegeben, also daß man von ihm redete als von eim wunderlichen prediger.
Darnach gieng er durch die gassen und sahe mit eignen augen das elend der menschen. Die brunnen waren verdorben, die äcker unbebauet, die häuser verriegelt. Überall roch es nach moder und angst. Und er fand es, wie die leüt sageten: daß bey nacht rauch und feurig liecht über der Arena stunde, darinnen das unthier hauste, so man Graoully nennet.
Do rief Clemens die bürger zusammen und sprach zu ihnen:
„Warumb dienet ihr steinen, die weder hören noch helffen?“
Da antworteten sie:
„Herr, der Graoully lebet. So wir nit opfern, so frißt er uns alle.“
Clemens schwieg ein weil und sprach darnach:
„Was ihr fürchtet, das ist euer unglawb. Wo der glawb ist, da hat das unthier keine macht.“
Am morgen darnach begab er sich mit etlichen jüngern zu jener verfallnen Arena, deren bogenhallen vom dorn überwuchert waren.
Das volck folgete ihm von ferne, voller furcht, und keiner wagete ihm zu nahen.
Do Clemens kam an das thor, machte er das zeichen des heyligen creutzes und rief mit lauter stim:
„Im namen des vaters und des sohnes und des heyligen geists – komm hervor, was wider gott stehet!“
Alsbald bebte die erden, und ein wind fuhr durch die ruinen.
Ein fauchen ward gehört, als bliese man durch tausent hörner.
Und siehe, aus der tieffen kroch der Graoully herfür:
sein leib war lang als ein thurn, seine schuppen glüheten, und rauch gieng aus seinen nüstern.
Das volck schrie und flohe; allein Clemens stund.
Er erhub das creutz, und da das unthier auf ihn fuhr, zeichnete er dreymal das heylig zeichen über ihn.
Da fiel das thier zu boden, und seine flügel schlugen dumpff wider die mauren.
Clemens trat näher, berührte ihn mit dem stab und sprach:
„Ich gebiete dir, unrein geyst, im namen deß, der himmel und helle regieret: werde stille und folge mir!“
Und also geschach das wunder:
Das unthier, das vormals den tod aus dem rachen blies, legte sich nieder gleich einem lamm, das gezähmet ist.
Clemens nahm seine stola, band sie ihm um den hals und führete ihn ohne furcht hinaus auf die gassen.
Das volck, das dies sah, fiel auf die knie.
Sie folgeten ihm in weitem zug, männer und weiber, kinder und alte, und riefen:
„Ein wunder des herren! Ein wunder des herren!“
Also zog Clemens mit dem drachen durch die statt, und wo er gieng, da thaten sich die thüren auf, und thränen fielen wie regen.
Als sie an die Mosel kamen, gebot er dem Graoully, daß er hinabstiege in die flut und darinnen bleibe biß an das end der zeiten.
Da neigete das thier sein haupt, kroch in den strom und verschwand, als wär es nie gewesen.
Von stund an wusch der regen die mauren, und die sunne schien wider über Metz.
Die leüt verbrannten ihre götzen und liessen sich taufen.
Und der heylig Clemens ward ihr erster bischof, hirt und hüter der seelen.
Liber Tertius
Wie die statt Metz nach dem wunder erlöset ward und wie das volck des herren gnade behielt.
Als der Graoully hinab in die flut der Mosel gesunken war und das wasser sich über ihm beschlossen hatt, da stund grosse still in der statt. Kein lerm ward gehört, kein hund bellte, kein kynd weinete.
Dann die luft, die vor vergiftet gewesen, ward klar, und der himmel schien wie ein neugewaschen tuch.
Die menschen schauten einander an, und man sah in ihren augen furcht und freude zugleich.
Do sprach der heylig Clemens zu ihnen:
„Danket nit mir, sunder dem herren, der die erde und die wasser gemacht hat. Denn also wie die flut das unthier verschlinget, also soll der glawb alle furcht verschlingen.“
Und das volck fiel auf die knie und lobete gott mit lautem geschrey.
Am andern tag versammelten sich die burger auf dem marckt. Sie brachten, was sie hatten: gold, silber, stein, holtz, und sie baueten ein grosses creutz aus drei bohlen, das sie auf der Arena errichteten, da das unthier gewohnet hatt.
Und Clemens segnete das creutz und sprach:
„So hoch das holtz stehet über ewr haupt, so weit soll ewr glawb reichen über ewr furcht.“
Darauff gieng er durch die gassen und segnete haus und hof.
Er heilte die kranken, die in den hütten lagen, und er redete den armen zu, daß sie nit zagen.
Die kinder, so vormals krank gelegen, stunden auf; und die alten, die vor hoffnungslos waren, weineten vor freud.
Und die bürger sageten:
„Der herr hat uns new gemacht wie den garten nach dem regen.“
Also ward die statt Metz gereiniget nit durch feur, sunder durch glawb.
Und Clemens blieb bey ihnen vil jar, lehrte sie das wort, taufte man und fraw, und ordnete priestern und dienern, die die kirchen hüteten.
Von da an stund das creutz auf der Arena, und die leute kamen all jar darzu, zu lob und gedächtnus.
Und auf daß die kinder nit vergessen, was der herr gethan hatt, ward in der statt eine grosse prozession eingesetzt.
Darinnen tragen sie ein bild des Graoully, gemacht aus holtz und leder, bemalet mit schuppen, mit augen aus glas und einer zung, die wie feur ist.
Doch der leib ist leer, und also soll er sein, dann das böse ist nit mehr im thier, sunder in dem herzen, das sich vom glawb entfernt.
So ziehet man den Graoully all jar durch die gassen, und die kinder rufen:
„Der Graoully ist todt! Es lebe der glawb!“
Und die alten sprechen:
„Der Graoully schläft, darum wachet!“
Also hat der herr ein wunder gethan nit allein am leib, sunder auch an der seel.
Denn der grösst sieg ist nit, daß der drach erschlagen ward, sunder daß die menschen den unglawb verliessen.
Darumb, wer dies lieset, der merke, daß der Graoully noch in manchem hertzen wohnet,
und daß kein creutz zu schwer ist, das ihn bändigt, wann es im glauben getragen wird.
Also endet dies drit buch von der befreyung der statt Metz,
geschriben zu lob des herren und zu trost der armen seelen,
durch Frater Hieronymum Asperagum, mönch zu S. Arnulphi Mettensis, im jar domini MDXXX.
Laus deo semper.
Quellen des Frater Hieronymus Asparagus
1. Die Vita Sancti Clementis
In der Bibliothek der Abtei Saint-Arnould zu Metz befand sich laut Asparagus eine alte Heiligenvita des Bischofs Clemens – auf Pergament, mit roten Initialen und bereits vermorschten Rändern. Diese Schrift bildet die kirchlich-theologische Grundlage seines Werkes und verleiht der Geschichte den Rang einer kanonischen Überlieferung.
2. Die volkhaften Reden
Zweite Quelle waren die mündlichen Erzählungen der Bürger von Metz, die noch im 16. Jahrhundert an hohen Festtagen von den Wundern des heiligen Clemens berichteten. Aus diesen Stimmen des Volkes schöpft der Mönch die lebendige, fast mythische Farbe seiner Chronik.
3. Die Chronik des Philippe de Vigneulles
Dritte und jüngste Quelle war das Werk des ehrbaren Bürgers Philippe de Vigneulles (1471 – 1528), der in seinen Chroniques de la cité de Metz viele alte Sagen und Tatsachen bewahrte. Dort findet sich auch der früheste bekannte Bericht vom Drachen Graoully, der die Luft vergiftete und die Stadt in Schrecken hielt.
Deutung:
Diese drei Zeugnisse – Kirche, Volk und Chronik – bilden den geistigen Dreiklang, auf dem Bruder Hieronymus seine Erzählung aufbaut: göttliche Wahrheit, lebendige Erinnerung und geschichtliche Glaubwürdigkeit.
Die Chroniken der Abtei Saint-Arnould verzeichnen den Mönch Frère Hieronymus Asperagus (Benediktiner, 1530) leider nicht. Er ist eine literarische Figur, meisterhaft erschaffen, um den Ton und die Hingabe des 16. Jahrhunderts nachzuahmen. Möge der Leser dieses Pastiches die Liebe zum Stil erkennen – denn wie der fiktive Mönch selbst schrieb: «le miracle n’advint pas seulement au corps, mais aussi à l’esprit» (Das Wunder geschah nicht nur am Leibe, sondern auch am Geiste).









© Bildrechte: La Dernière Cartouche / LdLS
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