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Deutschland: Spannungsfall nach Art. 80a GG – Lagebild, Politik, Mehrheiten, internationale Einflüsse und Wahrscheinlichkeit
Mit einer Lageeinschätzung von Sir Alec Penrose
Redaktionelle Einleitung
Spannungsfall Lagebild
In Berlin, Brüssel und Warschau fällt wieder das Wort Spannungsfall. Gemeint ist nicht Alarmismus, sondern die Frage, ob Deutschland vor einem rechtlich definierten Zustand äußerer Spannung steht.
Die Redaktion ordnet ein: Was bedeutet Spannungsfall im Grundgesetz? Welche Folgen hätte er für Bundeswehr, Infrastruktur, Wehrpflicht und innere Sicherheit? Warum nimmt die Debatte jetzt Fahrt auf? Welche belastbaren Fakten liegen vor und welche Eskalationsrisiken bestehen?
Auf Basis der vorliegenden Quellen erstellen wir ein Lagebild und schließen mit einem Gespräch mit Alec Penrose.
Lagebild und Analyse
Seit Anfang September 2025 registrieren NATO-Staaten eine Reihe von Luftraumverletzungen und Drohnenvorfällen, die dem russischen Einflussbereich zugerechnet werden. Der schwerste Zwischenfall ereignete sich am 10. September, als 21 Drohnen aus Richtung Belarus in den polnischen Luftraum eindrangen. Drei wurden von polnischen und niederländischen Abfangjägern abgeschossen; Trümmer beschädigten ein Wohnhaus bei Lublin. Ähnliche Übertritte wurden kurz darauf in Rumänien und Estland gemeldet.
Parallel kam es in Skandinavien und Deutschland zu mehreren Störungen des zivilen Luftverkehrs. Flughäfen in Norwegen, Dänemark und München mussten zeitweise gesperrt werden, nachdem unidentifizierte Flugobjekte über sicherheitsrelevanten Zonen gesichtet worden waren. Sicherheitsbehörden sprechen von hybriden Operationen, die auf Verunsicherung und auf das Austesten westlicher Reaktionsmuster abzielen.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte verurteilte die Vorfälle als „rücksichtslos und inakzeptabel“ und kündigte mit der Mission Eastern Sentry eine Verstärkung der Luftverteidigung an. Auch Washington reagierte scharf: Präsident Trump erklärte, NATO-Mitglieder sollten eindringende russische Flugkörper „sofort abschießen“, falls sie ihr Territorium verletzen. Rutte stimmte dem Kurs grundsätzlich zu und bekräftigte die Verteidigungsbereitschaft des Bündnisses.
In Deutschland hat die Zuspitzung eine innenpolitische Debatte ausgelöst. CDU-Abgeordneter und Ex-Oberst Roderich Kiesewetter forderte, den verfassungsrechtlichen Spannungsfall festzustellen, um Bundeswehr-Einsätze im Inland zu erleichtern und die Wehrpflicht automatisch zu reaktivieren. Nach Artikel 80a GG kann der Bundestag bei äußerer Bedrohung mit Zweidrittelmehrheit diesen Zustand erklären; damit treten weitreichende Sonderbefugnisse in Kraft, etwa der Schutz kritischer Infrastruktur und die Mobilmachung von Reservisten.
Bundeskanzler Friedrich Merz hat den Vorschlag bislang zurückgewiesen. Auf Nachfrage erklärte er: „Ich sehe das nicht so“ – eine klare Distanzierung vom Parteikollegen Kiesewetter. Merz betonte zugleich, Deutschland müsse seine Luftverteidigung ausbauen und dürfe weitere Luftraumverletzungen nicht hinnehmen. Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Anti-Drohnen-Konzept und prüft die Anschaffung zusätzlicher „Skyranger“-Systeme. Justizministerin Stefanie Hubig (SPD) erinnerte an die verfassungsrechtlich enge Begrenzung militärischer Inlandseinsätze und warnte vor einer „schleichenden Militarisierung“ staatlicher Abläufe. Der Spannungsfall wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bislang nie ausgerufen.
Militärexperten wie Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations halten die aktuelle Lage dennoch für kritisch. Gressel sieht die Wahrscheinlichkeit einer direkten NATO-Russland-Konfrontation „langfristig bei hundert Prozent“. Drohnen, Cyberangriffe und gezielte Provokationen sollen nach seiner Analyse die Entschlossenheit des Westens testen. Ein einziger tödlicher Zwischenfall auf NATO-Gebiet könnte eine Kettenreaktion auslösen – das Risiko einer Fehlinterpretation wächst mit jeder Woche.
Einordnung: Deutschland befindet sich rechtlich im Frieden, faktisch jedoch in einem Zustand erhöhter strategischer Anspannung. Der Spannungsfall ist noch nicht festgestellt, aber er beschreibt immer genauer den realen sicherheitspolitischen Aggregatzustand des Landes.

Sir Alec Penrose
Gespräch mit Alec Penrose
Alec Penrose, geboren in London, arbeitete über Jahrzehnte im Schnittfeld von Diplomatie, Nachrichtendiensten und strategischer Analyse. Er wirkte während des Kalten Krieges in der politischen Aufklärung, später als Berater für europäische Sicherheitsfragen. Penrose war selten im Rampenlicht – aber oft derjenige, der das Licht gedimmt oder gelenkt hat.
Redaktion: Herr Penrose, der Begriff Spannungsfall taucht plötzlich wieder in der deutschen Debatte auf. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
Penrose: Wenn dieser Begriff zurückkehrt, ist das mehr als eine juristische Floskel. Er markiert den Moment, in dem ein Land begreift, dass Frieden kein Naturzustand ist.Der Spannungsfall ist keine Routineklausel, sondern eine Diagnose: das Eingeständnis, dass die Nachkriegsordnung zu bröckeln beginnt.
Wir erleben, dass Politik und Öffentlichkeit den Ausnahmezustand nicht mehr tabuisieren, sondern als Option diskutieren – und das ist ein Wendepunkt im strategischen Denken.
Redaktion: In Deutschland war das lange undenkbar – jetzt fordern sogar führende Politiker seine Ausrufung.
Penrose: Ja, das ist eine bemerkenswerte Verschiebung.
Die frühere Kultur der Zurückhaltung ist einer Rhetorik der Entschlossenheit gewichen. Stimmen aus CDU, CSU und Teilen der FDP verlangen offen, den Spannungsfall zu erklären, um die Bundeswehr flexibler im Inland einzusetzen und die Wehrpflicht zu reaktivieren. Roderich Kiesewetter etwa spricht davon, man müsse „den juristischen Nebel lichten“. Selbst konservative Ministerpräsidenten nutzen inzwischen Formulierungen, die vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Das zeigt: Deutschland hat das Sicherheitsvokabular seiner Nachkriegszeit hinter sich gelassen. Doch Entschlossenheit ersetzt keine Strategie. Wer einen Ausnahmezustand ausruft, ohne ihn institutionell und gesellschaftlich vorzubereiten, riskiert Chaos im Namen der Ordnung.
Redaktion: Wie sicher ist überhaupt die Nachrichtenlage? Einige vermeintliche Drohnenmeldungen mussten ja relativiert werden – es handelte sich teils um Forschungsflugzeuge oder zivile Geräte.
Penrose: Das ist ein bekanntes Phänomen in hybriden Konfliktlagen. In der ersten Informationswelle wird vieles vermischt: tatsächliche Angriffe, technische Fehlalarme, falsche Zuordnungen. Doch der entscheidende Punkt ist das Muster – nicht der Einzelfall. Auch wenn manche Sichtungen sich als zivil herausstellen, bleibt der Gesamteindruck einer gezielten, wiederholten Störung bestehen. Russland und andere Akteure nutzen genau diesen Informationsnebel, um Vertrauen in die Sicherheitsstrukturen zu untergraben.
Das Ziel ist Verunsicherung, nicht Zerstörung.
Redaktion: Wie sind diese Sichtungen strategisch zu deuten? Handelt es sich um staatliche Provokationen, Spionage oder um subversive Aktivitäten?
Penrose: Wir sehen drei Ebenen, die ineinandergreifen. Erstens: staatlich gesteuerte Operationen, meist als Reaktionstest. Zweitens: nachrichtendienstliche Erkundung – das Kartieren von Radarlücken, Kommunikationswegen, Reaktionszeiten. Drittens: subversive Akteure – private oder halbstaatliche Netzwerke, die mit improvisierter Technik experimentieren. Das alles ergibt ein fließendes Bild.
Der Gegner will keine Schlacht gewinnen, sondern den Westen daran gewöhnen, ständige Unsicherheit als Normalität zu akzeptieren.
Redaktion: Welche Drohnentypen kommen in Frage?
Penrose: Bestätigt sind Varianten der iranischen Shahed-Reihe, in Russland als Geran-2 bezeichnet, sowie Decoy-Modelle, die lediglich zur Überlastung der Luftverteidigung dienen. Diese Geräte sind billig, präzise und schwer aufzuspüren. Hinzu kommen modifizierte Zivilmodelle, die über GPS-Spoofing und Kameraaufklärung zweckentfremdet werden. Das technische Spektrum reicht von improvisierten Flugobjekten bis zu hochkomplexen Angriffsdrohnen.
Redaktion: Welche Folgen hat das für den Flugverkehr?
Penrose: Die Auswirkungen sind massiv. Wir sprechen von kurzfristigen Sperrungen in München, Kopenhagen und Oslo, hunderten Flugausfällen und tausenden Passagieren, die umgeleitet wurden. Jeder solcher Vorfall verursacht Kosten, logistische Störungen und psychologische Effekte.
Man könnte sagen: Die Drohne ist die neue Rakete des 21. Jahrhunderts – nicht durch Sprengkraft, sondern durch Unsicherheit.
Redaktion: Bayern hat nach solchen Vorfällen die Bundeswehr um Unterstützung gebeten. Wie ist das rechtlich und praktisch zu bewerten?
Penrose: Hier kollidieren zwei Realitäten. Die Bundeswehr hat die technischen Mittel, darf sie aber im Inland kaum einsetzen.
Die Polizei hat die rechtliche Kompetenz, aber nicht die Ausrüstung. Wenn Länder wie Bayern militärische Hilfe anfordern, ist das kein autoritäres Signal, sondern Ausdruck einer strukturellen Überforderung. Ohne klare Zuständigkeitsregeln bleibt das System verwundbar – im juristischen wie im operativen Sinn.
Redaktion: Wer trägt dann die Verantwortung – Bundespolizei, BGS, neue Spezialkräfte?
Penrose: Der Schlüssel liegt in Koordination, nicht in Bürokratie. Statt neue Behörden zu schaffen, braucht Deutschland gemeinsame Einsatzkommandos – gemischte Teams aus Bundeswehr, Polizei und zivilen Fachleuten. Eine rechtlich abgesicherte Task-Force-Struktur würde schneller und klarer reagieren als die derzeitige Flickenteppich-Verwaltung. In hybriden Szenarien zählt Zeit mehr als Zuständigkeit.
Redaktion: Kritiker warnen, die Ausrufung eines Spannungsfalls könnte Moskau provozieren.
Penrose: Diese Sorge ist verständlich, aber strategisch verkürzt. Moskau provoziert, weil es Unsicherheit riecht. Nicht-Handeln wird dort als Einladung verstanden. Abschreckung funktioniert nur, wenn sie sichtbar und glaubwürdig ist – nicht, wenn sie sich in juristischen Skrupeln erschöpft.
Die Kunst besteht darin, Entschlossenheit zu zeigen, ohne in Kriegsrhetorik zu verfallen. Genau diese Balance fehlt derzeit.
Redaktion: Wie real ist die Gefahr eines offenen Konflikts zwischen Russland und der NATO?
Penrose: Realer, als viele glauben. Wir leben in einer Phase kontrollierter Instabilität. Ein technischer Fehler, ein Abschuss, ein Missverständnis – und der Automatismus greift. Krieg entsteht heute nicht aus Absicht, sondern aus Verkettung. Deshalb sind Kommunikationskanäle, Aufklärung und Eskalationsmanagement die wichtigste Verteidigungslinie des Westens.
Redaktion: Was folgt daraus für Deutschland und Europa?
Penrose: Strategische Nüchternheit. Kein Alarmismus, aber auch kein Reflex der Beschwichtigung. Europa muss sich als sicherheitspolitischer Akteur verstehen, nicht als Zuschauer. Deutschland verfügt über industrielle Stärke, aber nicht über strategische Kultur. Der Spannungsfall – ob ausgerufen oder nicht – ist ein Test: ob das Land fähig ist, Verantwortung zu übernehmen, ohne seine Prinzipien zu verlieren.
Redaktion: Sie sprechen oft von „verdeckten Systemen“. Was meinen Sie damit?
Penrose: Ich meine die unsichtbaren Ebenen, auf denen Macht wirklich ausgeübt wird – Daten, Infrastruktur, Kommunikation. Dort entstehen Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten. Die Drohnen am Himmel sind nur Symptome. Die eigentlichen Angriffe laufen längst in Netzwerken und Algorithmen. Wer das versteht, erkennt, dass der Spannungsfall kein juristischer Ausnahmezustand ist, sondern der Normalzustand der Gegenwart.
Redaktion: Und zuletzt: Gibt es in dieser Lage überhaupt noch Raum für Entspannung?
Penrose: Ja – aber nur auf der Basis von Stärke. Diplomatie ohne Machtbasis ist höfliche Ohnmacht. Russland respektiert nur, was standhält.
Europa muss zeigen, dass es verteidigungsfähig ist, wenn es Frieden will. Erst dann wird Deeskalation wieder glaubwürdig.
Das Gespräch führte Arion La Roque am 4. Oktober 2025 in Brüssel. Redaktionelle Bearbeitung: LdC-Analyse.
Quellen: Reuters, Merkur, Die Zeit, Frankfurter Rundschau, NATO-Statements (September–Oktober 2025).
Bestätigte Luftraumverletzungen über Polen, Rumänien und Estland; vereinzelte Falschmeldungen wurden korrigiert.
Der Interviewinhalt gibt die Analyseperspektive von Alec Penrose wieder.
„Die Wahrscheinlichkeit einer direkten NATO-Russland-Konfrontation liegt langfristig bei hundert Prozent.“
– Gustav Gressel, European Council on Foreign Relations
- Bestätigte, großskalige Drohnen-Incursion nach Polen (September) und Identifikation in Analysen als Shahed/Geran-Typen / Gerbera-Decoys. (WissenschaftsInstitut)
- Störungen des zivilen Luftverkehrs (München u. a.), dokumentiert durch Reuters und andere Agenturen. (Reuters)
- Teilweise Relativierungen einzelner lokaler Meldungen (einzelfälle von Hobbydrohnen oder Forschungsfliegern) sind in laufender Berichterstattung aufgetreten; das ändert aber nichts am übergreifenden Muster. (Reuters)
Quellen und Dokumentation
Die Analyse und das Gespräch basieren auf verifizierten Primär- und Sekundärquellen, die öffentlich zugänglich und journalistisch überprüfbar sind.
- – Rising Tensions and Calls to Declare a “Spannungsfall”, Oktober 2025, internes NATO-Lagebriefing (engl.).
- – Reuters, NATO’s Rutte: members can target Russian aircraft entering NATO space, 25. September 2025.
- – Frankfurter Rundschau, Drohnen über NATO-Gebiet: Kiesewetter will Spannungsfall ausrufen lassen, 29. September 2025.
- – Merkur, CDU-Politiker will Spannungsfall aktivieren lassen – Merz reagiert auf möglichen Wehrdienst für alle, 1. Oktober 2025.
- – DIE ZEIT, Drohnenabwehr: Was sich wirklich gegen die Drohnenflüge machen lässt, 3. Oktober 2025.
- – Arms Control Association, NATO Downs Russian Drones over Poland, Oktober 2025.
Redaktionelle Zusammenstellung: La Dernière Cartouche – Dossier Analyse
Stand: 05. Oktober 2025. Alle Quellen zuletzt geprüft am gleichen Datum.


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