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Die Hexe als Spiegel: Linda C. Hults’ „The Witch as Muse“ und die Ambivalenz des Blicks
Eine Buchbesprechung
Die Hexe als Spiegel: Linda C. Hults’ „The Witch as Muse“ und die Ambivalenz des Blicks
Eine Buchbesprechung
Linda C. Hults: The Witch as Muse. Art, Gender, and Power in Early Modern Europe.
Philadelphia: University of Pennsylvania Press, 2005. ISBN 978-0-8122-3869-3
Die Hexe ist kein Motiv. Sie ist ein Experimentierfeld.
In The Witch as Muse untersucht Linda C. Hults, wie Künstler der Frühen Neuzeit das Hexenbild nutzten, um die Grenzen des Darstellbaren auszuloten – und dabei nicht nur ästhetische, sondern auch geschlechtspolitische Machtverhältnisse verhandelten.
Ihre These ist provokant: Die Hexe wird zum Vehikel männlicher Selbstermächtigung, ein Medium, in dem sich der Künstler als schöpferisches Genie inszeniert, während er gleichzeitig die Frau als „natürliches“ Objekt der Dämonisierung festschreibt.
Doch dort, wo Hults’ Analyse am schärfsten sein könnte, zögert sie. Fast so, als würde der Blick, den sie beschreibt, auf sie selbst zurückfallen.
Künstlerische Freiheit als patriarchales Projekt

Hults’ Stärke liegt in der Lektüre der Werke Albrecht Dürers und Hans Baldung Griens. Ihre Hexendarstellungen liest sie als visuelle Manifestationen einer „verkehrten Welt“.
In Dürers Die vier Hexen (1497) oder Baldungs Hexe auf einem Ziegenbock reitend (1514) wird der weibliche Körper zum Schauplatz einer Dialektik von Lust und Kontrolle – ein Ort, an dem männliche Betrachter ihre eigenen Ängste und Begierden projizieren.
Doch was geschieht, wenn die Hexe zurückblickt?
Hier verpasst Hults die Chance, die subversive Potenz des Blicks zu entwickeln (vgl. Laura Mulvey, Visual Pleasure and Narrative Cinema, 1975).
Denn diese Potenz war schon in der Frühen Neuzeit angelegt: Die Hexe als jene, die den Betrachter durchschaut – und damit die Ordnung des Blicks verschiebt.
Vielleicht sogar umkehrt.
Von der Dämonisierung zur Ironie: Eine unvollendete Geschichte
Problematisch wird Hults’ Argument, sobald sie sich von Dürer und Baldung löst.
Frans Franckens Hexensabbat (1606) oder Jacques de Gheyns Zeichnungen erscheinen als Exkurse, nicht als Fortsetzung.
Die Politisierung des Hexenmotivs im Kontext der Gegenreformation und der Hexenprozesse wird angerissen, aber nicht vertieft.
Noch auffälliger ist die verpasste Gelegenheit bei Salvator Rosa und Francisco de Goya: Beide nutzen das Hexenthema, um den Aberglauben selbst zu entlarven.
Goyas Caprichos (1799) sind keine Spottbilder mehr – sie sind eine Anklage. Warum also nicht fragen, ob die Hexe hier zur ersten Aufklärerin wird? Oder zumindest zu ihrem Schatten.
Was fehlt: eine Theorie des Ungehorsams
Hults’ Studie leidet unter methodischer Zurückhaltung. Sie rekonstruiert die misogynen Diskurse, die das Hexenbild prägten, doch sie unterschätzt die Ambivalenz der Bilder selbst. Die Hexe ist nicht nur Opfer, sie ist Akteurin einer visuellen Gegenwehr – ein Punkt, den Silvia Federici in Caliban and the Witch (2004) radikal weiterdenkt. Federici zeigt, wie die Hexenverfolgungen zur Disziplinierung weiblicher Autonomie dienten.
Hults dagegen bleibt im Kunstwerk stecken. Sie analysiert die Hexe als Projektionsfläche männlicher Fantasien, aber nicht als Ort möglicher Selbstbehauptung. Vielleicht weil das Werk selbst diese Widersprüche nicht aushält.
Fazit: Erkenntnis und verpasste Chance
The Witch as Muse ist ein wichtiges Buch. Es zeigt die Verflechtung von Kunst, Gender und Macht in der Frühen Neuzeit. Aber es bleibt ein unvollendetes Projekt.
Hults scheut sich, ihre eigene These bis zum Ende zu denken: dass die Hexe nicht nur Muse, sondern Störfaktor ist – ein Bild, das die Ordnung des Sichtbaren sprengt. Vielleicht liegt gerade darin die eigentliche Provokation des Hexenmotivs: Es zwingt uns, über die Grenzen der Repräsentation hinauszudenken. Oder einfach hinzusehen, wo niemand mehr sehen will.
Ein Buch, das viel versteht – und trotzdem nicht fertig ist. Gerade darum lesenswert.
Weiterführende Quellen
-
Laura Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema (1975).
→ Mulveys Analyse des „male gaze“ hätte Hults ermöglicht, die Blickregime präziser zu dekonstruieren. -
Silvia Federici: Caliban and the Witch. Women, the Body and Primitive Accumulation (2004).
→ Federici verbindet Hexenverfolgungen mit der Ökonomie des Körpers – ein Ansatz, der Hults’ kunsthistorische Perspektive um eine politische Dimension erweitert.






















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