![]()
Der Augenblick der Wahrheit: Der Brandfall Klar
Julia Ruhs, Klar – und das Schweigen, das bald lauter wird
Ein Essay von Jack O’Reilly

Julia Ruhs
Julia Ruhs Person war nicht Inhalt eines Streits, sondern das Ziel eines Machtspiels. Ihre Moderation des ARD-Reportageformats Klar eskalierte zur Projektionsfläche interner Kontrolle und ideologischer Grenzziehung. Drei Pilotfolgen sollten demonstrieren: Öffentlichkeit ist keine Einbahnstraße – auch skeptische Stimmen verdienen Raum. Die erste Ausgabe, über Migration, traf einen Nerv – und zugleich ein Tabu.
Doch statt Debatten gab es Dossiers. Statt Disputation offene Briefe. Statt Fairness: empfundene Denunziation. Bereits im Frühjahr 2025, kurz nachdem Klar seine ersten Sendungen ausgestrahlt hatte, begannen interne Manöverkritiken – so berichtet Welt – gegen Ruhs’ Sendungsaufbau und Themenwahl.¹ Ein Geplänkel? Nein: Es war der Startschuss eines Feldzugs.
In einer internen NDR-Konferenz, die medial später aufgedeckt wurde, soll die Entscheidung gegen Ruhs lebhaft diskutiert worden sein – Kritik, Rückfragen, Vorwürfe.² Die offizielle Linie nach außen war gelassen: „Erweiterung der Formate“. Doch intern wurde schon versichert, man wolle nicht, dass es „eine One-Woman-Show“ werde – ein Satz, der begreiflich macht, worum es ging: nicht um Themen oder Qualität, sondern um Kontrolle.³
250 Mitarbeitende unterzeichneten einen offenen Brief. Sie warfen Klar Verstöße gegen journalistische Prinzipien vor, Emotionalisierung, Einseitigkeit, fehlende Ausgewogenheit.⁴ In einer geheimen Chatgruppe seien Aktionen koordiniert worden.⁵ Manche NDR-Insider sprechen vom „Gründonnerstagstribunal“ – eine interne Manöverkritik, die zur Abrechnung mit Ruhs mutierte.⁶
Was fehlte, war eine Verteidigung. Die Senderleitung ließ den Konflikt monatelang gären. Erst als die öffentliche Empörung wuchs, äußerte sich Direktorin Andrea Lütke in einer Mitarbeiterversammlung: Man habe Fehler gemacht, aber die Entscheidung sei schon getroffen gewesen.⁷
Am 17. September 2025 dann der Schritt: Der NDR verzichtet künftig auf Ruhs als Moderatorin in jenen Ausgaben, die unter NDR-Verantwortung stehen – jedoch nicht in jenen, die der BR produziert.⁸ Die Botschaft war klar: Du bist nicht verboten – aber begrenzt.
Die Kadenz der Delegitimierung
Was hier passiert ist, lässt sich nicht mit redaktioneller Differenz begründen. Es ist ein Akt der Delegitimierung. Ruhs war nicht abgesägt, weil sie Fehler gemacht hätte, sondern weil sie nicht im Konsens lag.
Ein bemerkenswerter Versuch der Relativierung kommt vom Volksverpetzer. Dort heißt es: Ruhs sei nie „abgesetzt“, sondern nur nicht mehr alleiniger Moderator — sie werde künftig gemeinsam mit Tanit Koch moderieren.⁹ Doch dieser formale Nebensatz vernebelt das Machtmoment: Wer die Soloverantwortung entzieht, entzieht wirkliche Autorität.
Parallel eskalierte der mediale Diskurs. Anja Reschke warf in Reschke Fernsehen „Klar“ vor, es sei „ein bisschen rechtsextrem“ – eine öffentliche Brandmarkung, die intern wirkungsvoller war als jeder Brief.¹⁰ Der Sender reagierte zunächst mit rückdrehender Satireerklärung, was den Eindruck nur vertiefte, dass hier nicht sachlich, sondern ideologisch operiert wurde.
Der Medienwissenschaftler 🔗 Norbert Bolz kommentierte den NDR-Schritt als Bestätigung für systemische Mängel im ÖRR – und kritisierte, dass der Sender mit Empörung reagiert habe, statt mit Argumenten.¹¹
Zwischen Publikum und Hauswirklichkeit
Erstaunlich ist, dass das Publikum, der Zensor, selten die Rolle spielt. In Leserkommentaren war Empörung. Focus-Analysen zeigen: Für viele war die Entscheidung ein weiterer Beleg, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht neutral ist.¹² Doch in Redaktionsräumen zählt weniger Zuschauer-Feedback als Kolleg:innen-Feedback.
La Dernière Cartouche fragt: Wer bestimmt im ÖRR, welche Stimmen gehalten, welche eliminiert werden? Wenn ein Programmdirektor entscheidet, wer moderieren darf, dann ist nicht der Zuschauer, sondern interne Netzwerke der Souverän.
Der öffentlich-rechtliche Gründungsauftrag vs. heutige Wirklichkeit
Nach 1945 initiierten die Besatzungsmächte den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit einem Umerziehungsauftrag. Der Radiopark sollte Demokratie lehren, Nicht-Demokraten entmachten, Volksmeinung neu formen. Aber mit der Konstitution der Bundesrepublik wandelte sich der Auftrag: Der Rundfunk sollte nicht mehr erziehen, sondern pluralistisch informieren. Das Bundesverfassungsgericht stellte klar: Rundfunk muss staatsfern sein, darf nicht Instrument dominanter Gruppen werden.
Heute jedoch, in Redaktionen und Entscheidungsetagen, zeigt sich ein Reflex jener Umerziehungslogik – nicht im offenen Befehl, sondern in der stillen Selektion. Wer nicht passt, wird über interne Mechanismen aus dem Handlungsspielraum verdrängt.
Warum wir über sie schreiben
Wir schreiben nicht über Julia Ruhs, weil sie in unser Bild passt. Wir schreiben über sie, weil sie herausragt – als eine der wenigen Stimmen, die im ÖRR radikal angeeckt sind, einfach weil sie nicht links ist. Sie steht für die Kollision von Meinungsfreiheit und Redaktionsmacht.
Der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung ist kein Urteil – er ist ein Moment der Entscheidung. Entweder bleibt der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein offener Raum, oder er wird ein Tribunal: Wer im Konsens ist, darf sprechen – wer nicht, wird isoliert.
Dieser Essay ist ein Schuss gegen das Schweigen. Eine Erinnerung daran, dass Pressefreiheit nicht passiv ist. Sie verlangt Schutz, nicht Fürsorge.
Wenn wir heute nicht aufstehen und fragen, wer das Recht hat, welche Stimme zu sein, dann sterben die leisen Stimmen zuerst.
Fußnoten- und Quellenverzeichnis
Welt – welt.de
[2] Interne NDR-Konferenz enthüllt: Heftige Kritik am Rauswurf von „Klar“-Moderatorin Julia Ruhs.
Berliner Zeitung – berliner-zeitung.de
[3] Andrea Lütke: „Wir haben nicht gewollt, dass es eine One-Woman-Show werde.“
Wikipedia – de.wikipedia.org
[4] Interne Proteste – 250 Mitarbeitende unterschreiben offenen Brief gegen „Klar“.
Berliner Zeitung – berliner-zeitung.de
[5] Intrige gegen Julia Ruhs – mobilisierte Chatgruppen, geheime Koordination.
Cicero – cicero.de
[6] „Gründonnerstagstribunal“ als interne Manöverkritik gegen Ruhs.
Cicero – cicero.de
[7] Lütke über Entscheidung und Kommunikationsfehler in interner Versammlung.
Wikipedia – de.wikipedia.org
[8] NDR beendet Zusammenarbeit mit Julia Ruhs nur für NDR-Ausgaben; BR sendet weiter.
Kress – kress.de
[9] Faktencheck: Julia Ruhs wurde nicht „abgesetzt“, nur nicht mehr alleinige Moderatorin.
Volksverpetzer – volksverpetzer.de
[10] Reschkes Vorwurf „ein bisschen rechtsextrem“ gegen „Klar“ und Ruhs.
Newsroom – newsroom.de
[11] „Hätte nicht passieren dürfen“ – Kritik von Norbert Bolz am NDR.
Welt – welt.de
[12] Leserreaktionen: Empörung über NDR-Entscheidung, Kritik an Neutralität des ÖRR.
Focus – focus.de
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!




© Bildrechte: La Dernière Cartouche / LdLS
© Bildrechte: La Dernière Cartouche / LdLS




















© Bildrechte: La Dernière
© Bildrechte: La Dernière Cartouche / LdLS
Auch wenn ich mit Ruhs nicht einverstanden sein mag: Auch ihre Stimme ist legitim und trägt zur Abrundung meiner Meinung bei. Ein Land ohne Streit erschöpft sich im Ennui.