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Madame de Maintenon
Im Schatten des Sonnenkönigs, im Licht der Erinnerung

✍️ Solène M’Bali
Solène M’Bali sammelt Fragmente wie andere Muscheln. Wörter, Bilder, Verschwundenes. Was andere übersehen, wird für sie zum Anfang einer Geschichte.. Ihre Recherche ist kein Zugriff, sondern ein Lauschen. Solène bewegt sich lautlos durch Archive, durch digitale Schatten, durch Fußnoten, die zu Welten werden. Sie ist die Stimme der Vergessenen, eine Chronistin der verschütteten Geschichten. Geboren unter dem Vulkan von La Réunion, aufgewachsen zwischen Zuckerrohrfeldern und den Wellen des Indischen Ozeans. Was sie schreibt, hat Gewicht – nicht, weil es laut ist, sondern weil es bleibt. Sie glaubt an Erinnerung als Widerstand – und daran, dass jede Akte, jedes Foto, jeder Satz eine letzte Patrone sein kann.
🗓️ Veröffentlichung: 2. Oktober 2025
📰 Medium: La Dernière Cartouche


Éditorial
Es gibt Figuren, die nicht Königinnen waren und dennoch königlicher wirken als jene, die die Krone trugen. Madame de Maintenon gehört zu ihnen. In Frankreich bleibt ihr Name bis heute vertraut – als Gouvernante, als Vertraute Ludwigs XIV., als Gründerin von Saint-Cyr. Nicht in Skandal und Glanz wurzelt ihre Erinnerung, sondern in Ernst, Beharrlichkeit, moralischer Strenge. Für manche ist sie bis heute eine Ikone: eine Frau, die aus Armut kam, in den intimsten Zirkel der Macht aufstieg und ihren Platz behauptete, ohne je die Krone zu beanspruchen.
In Zeiten, in denen Geschichte sich oft in Schlagworten verliert, lohnt es, sich ihr zuzuwenden: Françoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon.e
Françoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon als Heilige Franziska (1694). Gemälde von Pierre Mignard.
Die Marquise de Maintenon mit ihrer Nichte Françoise Charlotte d’Aubigné. Gemälde von Louis Ferdinand Elle
Madame de Maintenon – Im Schatten des Sonnenkönigs, im Licht der Erinnerung
von Solène M’Bali, Archivarin der Zwischenräume
Man betritt die Geschichte Madame de Maintenons nicht durch ein Portal aus Marmor, sondern durch eine Tür aus Holz, verzogen vom Klima, halb verfallen. Ihr Leben beginnt nicht im Glanz von Versailles, sondern im Schatten der Armut, am Rand eines zerfallenen Schlosses in Mursay¹, wo das Kind Françoise d’Aubigné die Gänse hütet. Wer hätte damals gedacht, dass diese verarmte Enkelin des hugenottischen Dichters Agrippa d’Aubigné eines Tages die heimliche Gattin Ludwigs XIV. sein würde?
Die Archive erzählen von Brüchen, nicht von geraden Linien. Von einer Witwe – Madame Scarron² –, die in den Pariser Salons überlebt, vom Lächeln einer Frau, die gelernt hat, Stille zu sprechen, weil Stille sicherer ist als jedes laute Wort. Dann das Vertrauen der Madame de Montespan⁷, die ihr die königlichen Kinder anvertraut. Es ist ein Paradox der Geschichte: Die Frau, die als Gouvernante der enfants naturels (den königlichen Bastarden)³ beginnt, wird schließlich die Frau, die den König selbst erzieht – nicht als Kind, sondern als alternden Mann, der in ihr jene Strenge, jene Moral findet, die ihm selbst abhandengekommen war.
Die Bilder, die von ihr bleiben, sind doppeldeutig. Pierre Mignard⁴ malt sie mit Buch und zurückgenommener Geste – wie eine Heilige, wie Franziska Romana, in deren Zügen die Königin ohne Krone sich spiegelt. Ferdinand Elle⁵ hingegen zeigt sie in Witwentracht, ernst, verschlossen, in der Rolle einer Hüterin. Zwei Ikonen derselben Frau: die eine fast mystisch verklärt, die andere nüchtern, real. Zwischen beiden Bildern spannt sich die Wahrheit: Maintenon war keine Heilige und keine bloße Gouvernante, sondern eine Frau, die das Unmögliche wagte – Einfluss zu nehmen, ohne je offiziell zu herrschen.
Ihr Einfluss war leise und unerbittlich. Voltaire sprach spöttisch von ihrer *« bigotte influence »*⁶ – als hätte sie nur die Strenge der Frömmigkeit ins Schloss getragen. Doch wer die Briefe liest, die Berichte, die Randbemerkungen von Höflingen, erkennt mehr: Maintenon war der Spiegel, in dem der alternde König sich sah. „Je ne gouverne point, mais j’influence par ma présence“⁹, schrieb sie einmal: Ich regiere nicht, aber ich beeinflusse durch meine Gegenwart.
Doch Versailles war ein Geflecht, und Maintenon bewegte sich darin mit einer Präzision, die ebenso politisch wie persönlich war. Sie verstand es, den Kreis um den König enger zu ziehen, Rivalinnen wie Montespan zu verdrängen, ohne offen zu triumphieren. Ihr Einfluss war nicht auf Gesetze und Ministerratsbeschlüsse beschränkt – er war atmosphärisch. In ihrer Gegenwart verwandelte sich der Hof: Musik, Theater, Vergnügen wichen einer Aura der Frömmigkeit. Gleichzeitig war sie pragmatisch genug, sich nicht als Herrscherin aufzuspielen, sondern als Vertraute, die das Ohr des Königs besaß, wann immer er allein war.
Es wäre zu einfach, ihr den Widerruf des Edikts von Nantes⁸ allein zuzuschreiben. Doch sie war Teil des Klimas, das den König in Richtung katholischer Strenge drängte. Die Enkelin eines Hugenotten⁹ stand auf der Seite der Einheit, nicht der Vielfalt – und das bleibt die bittere Ironie ihrer Biographie.
Aber Maintenon war nicht nur Strenge. Sie schuf mit Saint-Cyr¹⁰ (1686) eine Institution, die Bildung für junge Frauen der verarmten Aristokratie möglich machte. Dort verband sich Disziplin mit literarischem Anspruch, dort lasen Mädchen Racine¹¹, dort wurde Bildung weiblich denkbar – wenn auch in den Grenzen der damaligen Moral. „L’éducation des filles est de l’importance pour l’État“¹², schrieb sie: Die Erziehung der Mädchen ist von Bedeutung für den Staat. Saint-Cyr ist ihr dauerhaftestes Werk, ihr sichtbares Vermächtnis, eine Schule, die Europa beeinflusste.
Nach Ludwigs Tod 1715 verließ sie Versailles. Kein Palast, keine Krone, sondern Saint-Cyr wurde ihr letzter Ort. Dort verbrachte sie vier Jahre, alt, müde, aber von den Mädchen umgeben, die sie wie eine zweite Familie betrachteten. „Je meurs entre les bras de mes filles“¹³, heißt es in einem ihrer letzten Briefe: Ich sterbe in den Armen meiner Töchter. 1719 starb sie im Alter von 83 Jahren – nicht als Königin, nicht als Witwe des „Roi-Soleil“, sondern als Frau, die einen Platz im Gedächtnis Frankreichs gefunden hatte, ohne je offiziell auf einem Thron gesessen zu haben.
Und Frankreich hat sie nicht vergessen. Vielleicht, weil sie das Paradox verkörpert, das die Nation fasziniert: Armut und Aufstieg, Demut und Macht, Frömmigkeit und Einfluss. Während Montespan als Skandalfigur in Erinnerung blieb, ist Maintenon eine Ikone der Ernsthaftigkeit geworden. Für manche gilt sie bis heute als Vorbild: eine Frau, die ohne Schönheit und Glanz, ohne Titel und Krone, allein durch Beharrlichkeit und Intelligenz das Ohr des mächtigsten Königs Europas gewann – und es bis zu seinem Tod behielt.
Was bleibt, sind die Bilder, die Briefe, die Erinnerung an eine Frau, die den Sonnenkönig in seinem letzten Licht begleitete. Maintenon war nicht Königin, nicht Mätresse, nicht Ministerin – und doch alles zugleich. Ihr Leben zeigt, dass Macht nicht nur in der Krone liegt, sondern auch im Schatten, den sie wirft.
Madame de Maintenon: Die geheime Frau Ludwigs XIV. Eine Biographie Gebundene Ausgabe – 16. April 2012 von Veronica Buckley (Autor), Friedrich Griese (Übersetzer)
BUCHEMPFEHLUNG
Eine Aschenputtelgeschichte in einer der aufregendsten Epochen Frankreichs:
Mitreißend und amüsant, mit Anekdoten, Zitaten und kuriosen Funden, erzählt Veronica Buckley das Leben der Françoise d’Aubigné, alias Madame de Maintenon (1635–1719), im schillernden Frankreich Ludwigs XIV. Geboren als Tochter eines verurteilten Mörders und Staatsverräters in einem trostlosen Provinzgefängnis, heiratete sie mit fünfzehn den gelähmten Skandalautor Paul Scarron. Durch ihre brillant formulierten Briefe fiel sie auf und gewann Zugang zur besseren Pariser Gesellschaft. Nach Scarrons Tod wurde sie Pflegemutter der Kinder Ludwigs XIV. mit seiner Favoritin Anéaïs de Montespan, dann Vertraute des Königs, seine Mätresse und schließlich seine Ehefrau linker Hand. Schön, amüsant und klug, nutzte sie das Verhältnis auch zu politischer Einflußnahme: die ungekrönte Königin Frankreichs.
Madame de Maintenon
« Je ne suis point faite pour être heureuse, mais pour servir d’exemple. »
Über ihre Ehe mit Ludwig XIV. und ihren Platz am Hof
« Je ne gouverne point, mais j’influence par ma présence. »
Über ihre Rolle neben dem König
Fußnoten
1 – Schloss Mursay: Stammsitz der Familie d’Aubigné bei Niort (Deux-Sèvres), teils Ruine, wo Maintenon einen Teil ihrer Kindheit verbrachte.
2 – Madame Scarron: Name nach der Ehe mit dem Dichter Paul Scarron (gest. 1660).
3 – Enfants naturels: uneheliche Kinder Ludwigs XIV. mit Madame de Montespan; offiziell anerkannt, dennoch als bâtards bezeichnet.
4 – Pierre Mignard (1612–1695), Hofmaler Ludwigs XIV., schuf repräsentative Porträts Maintenons.
5 – Ferdinand Elle „le Jeune“ (1612–1689), Porträtmaler, stellte Maintenon u. a. mit ihrer Nichte dar.
6 – Voltaire: Le Siècle de Louis XIV (1751), dort die Formulierung von Maintenons „bigottem Einfluss“.
7 – Madame de Montespan (1640–1707), Mätresse Ludwigs XIV. und Mutter seiner enfants naturels.
8 – Edikt von Nantes (1598, Heinrich IV.), gewährt Hugenotten Religionsfreiheit; 1685 durch das Edikt von Fontainebleau aufgehoben.
9 – Hugenotten: französische Protestanten reformierter Prägung, im 16./17. Jh. verfolgt und teils ins Exil getrieben.
10 – Maison royale de Saint-Louis, Saint-Cyr (gegründet 1686), Erziehungsanstalt für verarmte Töchter des Adels.
11 – Jean Racine (1639–1699), klassischer Tragödiendichter, schrieb für Saint-Cyr u. a. die Tragödie Esther (1689).
12 – Zitat aus Maintenons Korrespondenz, 1689, zur Begründung von Saint-Cyr.
13 – Brief Maintenons, 1719, wenige Monate vor ihrem Tod in Saint-Cyr.
Literatur- und Quellenverzeichnis
Digitale Ausgabe: Gallica BnF (Band 1 einer Ausgabe)
Françoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon: Correspondance générale.
Hrsg. Hans Bots, Amsterdam 2009.
Übersicht: WorldCat
Bluche, François: Louis XIV. Paris: Fayard 1986.
Bibliographischer Eintrag: WorldCat
Lever, Evelyne: Madame de Maintenon. Paris: Fayard 2005.
Verlag: Fayard (Allgemeine Autorenseite, da das Buch älter ist)
Saint-Simon, Duc de: Mémoires. Paris (versch. Ausgaben).
Digitale Ausgabe: Gallica BnF (Beispielband einer Ausgabe)
Chaline, Olivier: Le Règne de Louis XIV. Paris: Perrin 2005.
Verlag: Flammarion (Das Buch ist auch bei Flammarion erschienen und online gut zu finden)
Dangeau, Marquis de: Journal. Bibliothèque de l’Institut, Paris.
Digitale Ausgabe: Gallica BnF (Band 1)
Roche, Daniel: France in the Enlightenment. Cambridge: Harvard University Press 1998.
Verlag: Harvard University Press
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